„Ein großartiger Erklärer unserer Geschichte ist nicht mehr" ORF
02 Apr
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„Ein großartiger Erklärer unserer Geschichte ist nicht mehr"

Reaktionen auf den Tod von Hugo Portisch (1927 - 2021). UPDATE. 

Alle kondolieren sie: Leute, auf die wir jetzt gerade dringend gewartet haben wie Karl Nehammer oder Sebastian Kurz (bis jetzt noch - einen Tag später - niemand niemand aus der FPÖ-Führung). „Nie wird so gelogen wie am offenen Grab", konstatiert Falter-Herausgeber Armin Thurnher zum Tod Hugo Portischs in seiner heutigen „Seuchenkolumne" und fährt fort: „Dass ihm heute einer wie Sebastian Kurz nachtrauert, dem es gar nichts ausmacht, die Wiener Zeitung umzubringen, und dem es gar nichts ausgemacht hätte, mit der FPÖ den öffentlich-rechtlichen Rundfunk umzubringen, den nur Ibiza daran hinderte, und der darnach geschmeidig einsah, dass die zweitbeste Variante für ihn darin besteht, sich diesen Rundfunk gefügig zu machen, das ist zwar normal für österreichische Usancen am offenen Grab. Eine Anmerkung verdient es doch."

Genug der Grauslichkeiten und Verlogenheiten. Lassen wir Gutgesinnte wie Thurnher zu Wort kommen. Für Menschen seiner Generation sind Erinnerungen an den Journalisten, der es nicht notwendig hatte, Bundespräsident werden zu ollen, obwohl ihn alle demokratisch gesinnten Kräfte gewählt hätten, zwangsweise Kindheitserinnerungen und rufen zugleich auch  eine Pionierzeit des Fernsehens, die sich „Starmania", „Bauer sucht Frau" oder „Dancing Stars" nicht einmal träumen hätte lassen, auf. "Ehe es bei uns zu Hause einen Fernseher gab, gab es Bücher. Da standen sie im Schrank, die Portische, auf deren Rücken Titel prangten wie „So sah ich China“. Ich las Portisch nicht, war mit Karl May und Gustav Schwab beschäftigt, aber ich sah ihn. Später dann ragte er in das Fernsehen meiner Jugend hinein wie ein Albatros. Mit großer Spannweite umfasste er die Welt und gab ihr eine beruhigende Bedeutung, egal um welche Krise es sich gerade handelte. Heute hätte ich ein Soziologenwort für das, was er tat. Man nennt es ,sozialintegratives Nachrichtenritual‘. Portisch war ein Magier dieser beschwichtigenden Integration, er gestikulierte die Sorgen aus unserem Weltbild weg. Nachdem wir ihn gehört und gesehen hatten, meinten wir, zu verstehen, was draußen vorging."

So leicht tat sich Hubert Patterer - er ist auch wesntlich jünger als Thurnher - mit dem „Verstehen" nicht. Mit Portisch auch auf den legendären Nachrtichtensprecher Peter Fichna replizierend, erinnert sich der Chefredakteur der Kleinen Zeitung in der heutigen „Morgenpost": „Bei Fichna war die unbekannte Welt jenseits des Dorfes etwas Ernstes, bei Portisch immer etwas Aufregendes. Man wusste als Junger hinterher zwar nicht, was er in seinem Forte und Presto gesprochen hatte, aber wie er erzählte und kommentierte, das prägte sich ein und fesselte einen." Richtig ergreifend wird Patterer, wenn er - pars pro toto - die Wirkung des Starjournalisten, der sich nie wie ein Star aufgeführt hat, auf das kindliche Gemüt eines Kärntner Buben beschreibt: „Er war für uns Dorfkinder nicht Gerd Bachers ,Chefkommentator‘, als es so etwas noch geben durfte, er war für uns damals auch nicht der große, verdienstvolle Impulsgeber für das Rundfunkvolksbegehren, das Wort verstanden wir nicht. Aber wir verstanden, dass es jenseits des Tals eine Welt geben musste, in der Großes und Aufregendes geschah. Das Große war nicht immer schön, aber diese Ahnung hielt einen nicht davon ab, Lust auf diese Welt zu bekommen. Hugo Portisch entzündete diese Lust und Neugier, allein dadurch, wie er von dieser fremden Welt erzählte."

Hugo Portisch, 1921 in Pressburg geboren, war als Chefredakteur des Kurier in den 50er und 60er Jahren, als ORF-Korrespondent und -Kommentator einer der wichtigsten Journalisten Österreichs - insbesondere aber der Chronist seiner Historie, die er ohne Fragen offen zu lassen im wahrsten Wortsinn auf den Punkt brachte. Seine gemeinsam mit Sepp Riff produzierten TV-Serien, in denen die Erste und Zweite Republik bis zur Ära Kreisky detailliert aufgearbeitet wurde, waren, von gleichnamigen Büchern begleitet, nicht nur riesige Erfolge, sondern definierten auch, wie Geschichtsunterricht wirklich geht.
Außer Österreich hat Portisch auch die Weltmächte Russland/Sowjetunion, USA und China dokumentarisch, geschichtlich und auch über persönliche Erfahrungsberichte aufgearbeitet. Außerdem war er legendärerweise Experte für Schwammerln, Jazz und alte Filme - und, seit 2018, Ehrenbürger der Stadt Wien.

Stimmen zum Tod Hugo Portischs, verlautbart auf Twitter:

„Er war fraglos der bedeutendste und beliebteste Journalist der Zweiten Republik.“ Kleine Zeitung
„So schön, dass du da warst, Hugo Portisch!“ Peter Filzmaier, Politologe
„Er war weit mehr als der Journalist und der Zeithistoriker der Nation: Hugo Portisch gehörte auch zu den moralischen Instanzen des Landes – weit über seine Profession hinaus.“ Die Furche
„Wir alle haben einen großartigen Journalisten und Vermittler komplexer Themen verloren. Und ich trauere um einen langjährigen Freund, dem ich viel verdanke.“ Helmut Brandstätter, langjähriger leitender ORF-Journalist und NEOS-Abgeordeter
„Auf die Frage, was ich einmal werden will, hab ich als Teenager immer „der weibliche Hugo Portisch“ gesagt. Österreich I+II haben mich genauso geprägt wie ,Hört die Signale’. Ein großartiger Erklärer unserer Geschichte ist nicht mehr.“ Nina Hoppe, Meinungsforscherin

 



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