Die österreichische Bundesregierung hat 2020 so viel Geld wie noch nie für Inserate in österreichischen Tageszeitungen ausgegeben und sie hat bei der Verteilung die Boulevard-Titel Krone, Heute und Österreich krass bevorzugt.
Dieser Eindruck grassiert schon lange bei Medienbeobachtern - dank einer riesigen Studie des Medienhauses Wien unter der Leitung von dessen Geschäftsführer Andy Kaltenbrunner ist er nun auch analytisch gestützt. Kaltenbrunner verfolgte mit seinem Team den Fluss von Regierungsinseraten Anno Domini 2020, verglich ihn mit früheren Jahren, stellte ihn als indirekte, nicht offen deklarierte Medienförderung in den Kontext der „offiziellen“ Presseförderung und anderer Förderungen, und stellte zahlreiche interessante Rechenspiele an. Eine Heidenarbeit, die noch dadurch erschwert wurde, dass sich Verlagshäuser wie auch Politik nicht wirklich vor Transparenz überschlagen. Deshalb trägt die Studie auch den leicht ironischen Titel „Scheinbar transparent II“ - römisch zwei deshalb, weil das Medienhaus Wien in einer früheren ersten Studie bereits den Lauf der Regierungsinserate der Jahre 2018/19 analysiert hatte.
Bevorzugung des Boulevards wurde noch krasser
Seit der Präsentation der Erhebung Ende letzter Woche dürfte hinlänglich bekannt sein, dass 2020 die Regierung im Umfang von 33,5 Millionen Euro in Zeitungen (und ihren Online-Portalen) inseriert hat: So viel wie noch nie, seit 2012 das sogenannte Medientransparenzgesetz öffentliche Rechtsträger verpflichtet, Inserate im Wert von über 5000 Euro der Regulierungsbehörde KommAustria zu melden. Es ist in etwa ungefähr das Doppelte, was sie in den Jahren zuvor springen hat lassen.
95 Prozent der Regierungswerbung kommen aus ÖVP-geführten Ministerien; der bei weitem größte Kunde ist dabei das Bundeskanzleramt (BKA) mit einem Volumen von über 14 Mio, gefolgt vom Finanzministerium (6,6 Mio), Verteidigungsministerium (2,75 Mio), Innenministerium (2,6 Mio) und Bildungsministerium.
57 Prozent der Regierungs-Werbegelder geht an die eherne Boulevard-Troika Krone, Heute und Österreich.
Dieser Anteil war, relativ gesehen, in den letzten Jahren sogar noch höher, nämlich bei zwei Drittel. Doch im diesem Fall ist auch relativ zu relativieren: Die Höhe der ausgespielten Gelder verstärkte nämlich die Ungleichheiten bei der Zuwendung an Boulevard und den „Rest“ der Medienlandschaft noch einmal. Man kann sich dieses Paradoxon besser vorstellen, wenn man die Enbtwicklung der Inseratenbuchungen in den einzelnen Titeln ins Visier nimmt:
Die Höhe der Zuwendungen macht freilich - mit der bedingten Ausnahme der Wiener Zeitung, deren Finanzierung nicht auf Inseraten, sondern den Einschaltungen im Amtsblatt basiert - alle Zeitungen in höherem Maße von Regierungsinseraten abhängig, zumal Aufträge aus der Wirtschaft wegbrechen. Noch in der ersten Regierungsinseraten-Studie für 2018/19 hat das MHW für Kurier und Standard einen Anteil der Regierungszuwendungen von unter 10 Prozent an den Gesamterlösen festgestellt. Aktuell beträgt er bei beiden über 20 Prozent. Bei den Bundesländerzeitungen Salzburger Nachrichten und Kleine Zeitung sind es sogar 30 Prozent. Bei der Krone ist ein Drittel, bei Österreich und Heute noch einmal mehr als das - bis zu 40 Prozent. Mancher Verlag - auch oder gerade wenn am Boulevard aktiv - wäre ohne diese Zugaben nicht lebensfähig.
Verteilungsschlüssel???
Wenn die boulevardorientierte Inseratenpolitik der Regierung in die Kritik kommt - das tut sie hin und wieder - pflegen sich Bundeskanzler Sebastian Kurz und seine Erfüllungsgehilfen neuerdings auf einen Verteilungsschlüssel zu berufen, der sich - angeblich, denn offiziell verlautbart wurde einer solcher nie - nach einer internen Formel auf die Daten von Media Analyse und Auflagenkontrolle stützt. Kaltenbrunner hält fest, dass ein solcher 2018/19 offensichtlich nicht zur Anwendung gekommen sein kann. 2020 allerdings werde er beim BKA sichtbar und zeige eine deutliche Tendenz zu Gratiszeitungen. Die Inseratenausgaben des BKA sind in diesem Jahr auf 15 Millionen gestiegen - das ist mehr als das Vierfache der BKA-Inserate von 2018 - 2019 taugt wegen der Übergangsregierung Brigitte Bierleins und drastisch reduzierter Werbeaufwendungen nicht wirklich als Referenz - und macht mehr als ein Drittel der gesamten Ausgaben aus. Aber auch das Finanzministerium (von 5,2 auf 6,6 Mio. Euro) legte als Großinserent zu, ebenso das Innenministerium (von 1,7 auf 2,6 Mio. Euro) oder das Verteidigungsministerium (von 1,7 auf 2,7 Mio. Euro).
Während die ÖVP-geführten Ministerien für Medienkooperationen 2020 deutlich mehr Geld ausgaben, zeigten die grünen Ministerien Zurückhaltung. Das für Kultur, öffentlichen Dienst und Sport zuständige Ressort des Vizekanzlers Werner Kogler beschied sich mit 650.000 Euro; das Umweltministerium, das mit dem Klimaschutz eine der vorgeblichen Hauptagenden dieser Regierung innehat, verblieb fast auf genau dem gleichen Wert wie 2018 (1,03 Mio). Das Ressort mit den geringsten Inseratenausgaben war im Coronajahr 2020 das Gesundheitsministerium, es legte marginale 156.000 Euro (hauptsächlich in Standard, Presse und Bundesländerzeitungen) ab. Das ist damit zu erklären, dass große Aufträge zur Chefsache erklärt wurden und dem BKA überlassen werden mussten.
In den budgetstarken Ressorts war die Krone als reichweitenstärkste Zeitung des Landes zumeist auch am stärksten gebucht. Nur im Landwirtschaftsministerium wurde Österreich/Oe24 stärker gebucht. Das Bildungsministerium, wo der Standard und die Kleine Zeitung zu den Top 3 gehören, und das Umweltministerium, wo die Presse auf Platz 3 liegt, zeigen immerhin kleinere Abweichungen von den ansonsten strikt auf Krone, Österreich und Heute zentrierten Buchungspräferenzen.
Ost-West-Südgefälle
Als „Informationspolitik“ (Corona) verstanden, hat sich die Inseratenvergabepraxis der Regierung deutlich mehr um die ostösterreichischen denn west- und südösterreichischen Leser bemüht. Im Osten Österreichs buchte die Regierung Werbung für 7,96 Euro pro Zeitungsleser/Zeitungsleserin. Im Westen Österreichs investierte sie pro Kopf 6,09 Euro und im Süden 5,47 Euro pro Leser/Leserin in Printwerbung.
Bei den Werbeausgaben pro Print-Leser zeigt sich grundsätzlich ein interessantes Bild. Da kommen nämlich die Gratistitel Österreich/Oe24 und Heute auf viele höhere Werte als die deutlich reichweitenstärkere Krone. Besonders der Österreich-/Oe24-Leser mit Inseratenausgaben von 8,22 Euro pro Kopf ist der Regierung lieb und insbesondere teuer. Heute generiert 6,86 Euro; die Krone liegt hier mit 3,94 Euro pro Leser nur im Mittelfeld und unter dem Durchschnittswert von 4,65 Euro pro Leser. Schlußlicht unter allen erfassten Zeitungen - zu denen die Wiener Zeitung und das OÖ Volksblatt mangels statistisch relevanter Daten nicht gehören - ist der Standard mit 2,43 Euro pro Leser. Nach „üblichen privatwirtschaftlichen Kriterien“ ist, wie das MHW anmerkt, diese Spreizung der Werbeausgaben, schwerlich erklärbar. Die Bedenken der EU-Kommission, in Ö. werde via Inserate regierungsseitig Einfluss auf die Medien und ihre Berichterstattung genommen, werden dadurch auch nicht wirklich ausgeräumt.
Die Studie kann hier heruntergeladen werden
Unterstützen Sie BranchenBlatt!
Werden Sie Teil des Projektes! BranchenBlatt als Medien-Start-up hat die Krise besonders getroffen. Mit Blut, Schweiß und Geld stehen wir aber hinter dem Projekt. Weil wir der Überzeugung sind, dass der eingefahrene Markt in diesem Bereich dringend frischen Wind benötigt. Und dass unabhängige Berichterstattung ohne Verhaberung der gesamten Branche mehr Glaubwürdigkeit und Gewicht verleiht.
Unterstützen Sie Ihr neues BranchenBlatt dabei! Wir sind weiterhin bemüht, seriöse und spannende Nachrichten zu liefern. Doch in Zeiten wegfallender Werbeeinnahmen wird die Aufgabe nicht leichter. Sie können für BranchenBlatt in den Ring steigen und mit Ihrer Spende zu einem neuen Mediendiskurs in der Branche beitragen!