Beate thalberg, Filmemacherin und nun auch Autorin Beate thalberg, Filmemacherin und nun auch Autorin Christopher Mavric, Molden Verlag
31 Mär
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„Die doppelte Frau" auf doppeltem Boden

 Die renommierte Kunst- und Dokumentarfilmerin Beate Thalberg feiert mit einem Noir-Krimi ihr Debüt als Buch-Autorin. Ein leichthändiges Spiel mit Ironie und Genre-Klischees - und zugleich das Porträt einer großen Frau.

 

Wir sind in einem devastierten, von den Amerikanern besetzten Salzburg unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg. Die mysteriös-schöne Blondine Eva beauftragt den als Privatdetektiv hochstapelnden Schmalspurgauner Max, die Herkunft von Fotos zu eruieren. Es sind hochkarätige Bilder aus den 1920er und 30er Jahren, Szenen von den Salzburger Festspielen, Aufnahmen von Stars wie Marlene Dietrich, Paula Wessely oder dem legendären Impresario und Regisseur Max Reinhardt. Zugeschrieben werden sie Carl Ellinger, dem Inhaber eines seinerzeit florierenden Fotoateliers, doch dieser kann sie, wie Max schnell herausfindet, nicht gemacht haben, weil er bereits 1916 nach Kanada emigriert ist. Aber das ist nicht das einzige Mysterium, das sich bei der Recherche nach dem Ursprung der Bilder auftut. Alsgleich sind die beiden Protagonisten in ein so undurchsichtiges wie unheilvolles Verwirrspiel aus Umtrieben und wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnissen der immer noch einflussreichen Nazis, den amerikanischen Besatzern und den mächtigsten Familien der Stadt verstrickt und es zeigt sich, dass die Geister der Vergangenheit mit Kriegsende nicht einfach begraben worden sind.

Diese Geschichte mit einem fiktiven Plot um fiktive Protagonisten und einem zeitgeschichtlich authentischem Ambiente und realen Rahmendarstellern, die sehr bewusst wie ein Noir-Krimi angelegt ist, ist unter dem Titel „Die doppelte Frau" in verschiedenen Formen aufbereitet worden: 2021 als Doku-Fiction-Dreiteiler auf ORF.at und in ORF 3, und nun im Molden Verlag auch als Kriminalroman mit Graphic Novels und den oben beschriebenen Fotos von den Salzburger Festspielen.
Für alle diese Darstellungsformen zeichnet Beate Thalberg hauptverantwortlich: Als Regisseurin und Drehbuchautorin für die Fernsehproduktion, als Autorin für den Krimi. Die Graphic Novels, die ihn illustrieren, stammen von der Wiener Künstlerin Lily Ammann, die Fotos stammen aus dem Atelier Photo Ellinger.
Und dessen langjährige Leiterin Betty Steinhart ist die eigentliche Hauptfigur des genreübergreifenden Projekts: Als einfache Mitarbeiterin und Fotografin eingestiegen, übernahm sie mit 24 Jahren das Atelier Photo Ellinger von Carl Ellinger, und dokumentierte für dieses fortan die Salzburger Festspielszene. Unter den Nazis gerieten sie und ihr zweiter Mann - der erste, Vater ihrer zwei Kinder, war 1929 verstorben - in Schwierigkeiten, vorübergehend auch in Gefangenschaft.
Nach Kriegsende führte führte Steinhart das Atelier weiter. Den Namen „Photo Ellinger" hatte sie nie geändert - mit ein Grund warum sie nach ihrem Tod 1979 (mit dem auch die Geschichte des Ateliers endet) rasch in Vergessenheit geriet.

Themen: Salzburger Festspiele; vergessene starke Frauen

Beate Thalberg verarbeitet in diesem Projekt zwei ihrer speziellen Themen: Die Salzburger Festspiele, deren Geschichte sie schon 2020 im dokumentarischen Fernsehspiel „Das Große Welttheater" beleuchtet hat, und ihre Faszination für wegweisende, gleichwohl vergessene Frauen, wie sie etwa auch in ihrem Dokumentarfilm „Die Königin von Wien – Anna Sacher und ihr Hotel" (2016) zum Ausdruck kommt.

Für die Anna-Sacher-Produktion erhielt die mit unzähligen Auszeichnungen und Nominierungen bedachte Autorin, Dokumentar- und Kunstfilmerin, die aus der DDR stammt und seit 1992 in Wien lebt, ebenso eine Romy wie für die Doku „Die Akte Joel" von 2001, in dem Thalberg der Geschichte der Familie Joel nachgeht, die zur Zeit der Nazi-Diktatur ihren florierenden Textilversandhandel zwangsweise an die Familie Neckermann abtreten musste. Der Film führt die Nachkommen der beiden Familien - zu denen auch der Pop-Star Billy Joel gehört - zusammen. Sprachlosigkeit mit vielen (beschönigenden, verdrängenden) Worten (seitens der profitierenden Familie, falls das denn klargestellt werden muss).

„Salzbourgeoisie"

9783222151217Thalbergs Debüt als Autorin lässt viel von ihren Stärken als Filmerin spüren: Die Sorgfalt der Recherche, dieses sichere Gefühl für Ambiente, Stimmung und charakteristische Details: Die Ami-Besatzer, die am liebsten noch den Weg vom Hotel-Eingang zum Lift mit dem Jeep zurücklegen würden, der Schnee, der „sich sanft wie ein Totentuch über die Wunden der Stadt gelegt hatte", die Hotelbar, an der Erwartung und Gleichgültigkeit stets gemeinsam lehnen. Für alles benötigt man Karten und Scheine und spezielle Genehmigungen: Raucherkarte für den Tabakbezug, Lebensmittelkarte. Wohnungsschein. Kleiderkarte, Sonntagsfahr-Bewilligung für Kfz. Nachkriegszeit eben.

Dass sich die schriftliche Form besser als jede andere künstlerische Form für Ironie eignet, nützt Thalberg weidlich aus: Ein einziges Wort, „Salzbourgeouise", sagt als spielerischer Titel eines Kapitels mehr als eine gelehrte fünfbändige Abhandlung über die soziale Aura der Festspielstadt, „dieser Provinzbühne im barocken Geschenkpapier". Genussvoll werden auch Schundheftl-Klischees - allen voran die schöne, rätselhafte, scheinbar gefühlskalte Blondine „mit dem tiefblauen Eisesblick, vor dem sich der Teufel fürchten würde" - verbraten; Fäuste fliegen und ab und zu auch Bleikugeln, und en passant wird in Form vieler Zitate - vor allem aus Humphrey-Bogart-Filmen - ein doppelter Boden eingezogen. Gewiss - an ein paar Stellen lässt sich nicht mehr sagen, ob dieses Buch noch Krimi oder definitiv schon eine Persiflage auf einen solchen sein möchte, etwa wenn Erfindungen und Personen, die es zum Handlungszeitpunkt nicht gar nicht gibt (z.B. DNA-Analyse) oder noch nicht öffentlich bekannt sind (wie der Rennfahrer und Flugunternehmer Niki Lauda), in Dialoge eingebracht und alsgleich wegen Nichtigkeit ad absurdum geführt werden.
Und doch ist das Ganze, da lässt das Buch keine Zweifel offen, dezidiert die Hommage an eine große Frau. Eine große Geschichte, leichthändig, fast spielerisch erzählt.


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