Michael Nikbakhsh, hier vor ein paar Wochen bei einem TV-Gastspiel im Sender Puls 24 Michael Nikbakhsh, hier vor ein paar Wochen bei einem TV-Gastspiel im Sender Puls 24 Screenshot
14 Mai
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Erst wenn der letzte Quadratmeter versiegelt ist usw.

You can´t keep a good man down: Aufdecker Michael Nikbakhsh, wegen Missfallenserregung bei mächtigen Wirtschaftskapitänen aus dem profil entfernt, ist mit einem Podcast wieder voll im Geschäft (wie das so schön heißt). Die neueste Folge seiner „Dunkelkammer" widmet sich einem gewaltigen Problem, dem die Politik nie wirklich zu Leibe gerückt ist: Der Bodenversiegelung. Eine Initiative klagt nun.

 

Mit Anfang des Jahres war Michael Nikbakhsh, einer der nicht wirklich inflationär vielen investigativen Journalisten dieses Landes, vom neuen Geschäftsführer Richard Grasl aus der Redaktion des profil eliminiert worden. Die Wirtschaft, der es bekanntlich zu unser aller Wohlergehen immer gut gehen muss, hatte sich über ihn beschwert, dass er mit seinen Aufdecker-Stories Stimmung gegen sie mache. Danach hatte er die Leitung einer von Kurier und profil geplanten Investigativakademie wegen politischer Begehrlichkeiten seitens der Managment-Ebene zurückgelegt.
Anfang März startete er einen eigenen Podcast mit dem bezeichnenden Titel „Die Dunkelkammer". „Dunkelkammer" meint natürlich jenen Bereich, der von den politischen und wirtschaftlichen Entscheidern, kurz, den Mächtigen dieses Landes, gerne und mit Vorsatz unterbelichtet gelassen wird: Inseratenkorruption, Zwei-Klassen-Justiz, Besitztümer russischer Oligarchen in Österreich und das kranke Wiener Spitalswesen gehörten bislang zu den Themen. Seither ist „Die Dunkelkammer" regelmäßig an der Spitze der hiesigen, längst als publizistische Messgröße relevanten Podcast-Charts zu finden und hat laut N.´s eigenen Angaben auf LinkedIn die Marke von 77.000 Downloads überschritten.

Folge 14 widmet sich einem besonders akuten Thema - einem Thema nämlich, dem Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft in Sonntagsreden zwar enorme Wichtigkeit einräumen, im Berufsalltag aber NULL Augenmerk, geschweige denn Aktivitäten widmen: Der Bodenversiegelung.
Zu dem Thema hat übrigens schon seinerzeit (im August 2020) Ernst Sittinger in der Morgenpost der Kleinen Zeitung ein herausragendes Stück österreichischer Publizistik geliefert. Unter dem wunderschönen Titel „Die Unschuldsvermurung" schrieb Sittinger, in der mittlweile schwer kriselnden größten österr. Bundesländerzeitung seit langem Mitglied der Chefredaktion: „Sommergewitter hat es immer gegeben. Aber das, was sich in letzter Zeit abspielt, muss uns nachdenklich machen. In den letzten Jahren kann man sagen, dass von Mai bis September üblicherweise latente Unwettergefahr herrscht. Die Überflutungen dieser Woche mit reihenweise gesperrten Straßen und Bahnlinien als Folge wären früher die große Ausnahme gewesen. Heute ist sowas längst der Normalfall.
Der Klimawandel mit heißerer Luft und daher mehr Energie im Wettergeschehen ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist der hemmungslose Bodenverbrauch mit dem schwierigen Wortpaar Versiegelung und Zersiedelung. In Bayern und Tirol kann man ja beim Blick in die Landschaft noch einigermaßen klar erkennen, wo eine Ortschaft beginnt und wo sie endet. In weiten Bereichen etwa der Südsteiermark ist das nicht mehr möglich. Dort stehen auf jeder „Leiten“ ein paar Häuser, gleichsam wie hingewürfelt. Die Raum-Unordnung hat abenteuerliche Ausmaße angenommen. Viele glückliche Einzellagen-Siedler wissen es dem Bürgermeister zu danken. Aber sie erwarten dann halt auch, dass bei Hochwasser die Feuerwehr kommt und nach Stürmen die Zufahrtsstraßen rasch wieder freigesägt werden. Es gilt die Unschulds-Vermurung."

Obwohl von Teilen der Publizistik, von Raumplanern, Umweltinitiativen und anderen Organisationen wiederholt Alarm geschlagen wird, schreitet die Bodenversiegelung in Österreich ungebremst und dramatisch voran. Jedes Jahr verliert das Land circa 0,5 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche an Wohnsiedlungen, an Straßen, an Betriebsanlagen, an Gewerbegebiete, an Beton und an Asphalt. Im Zeitraum 2010 bis 2020 wurden nach Erhebungen des Umweltbundesamts an jedem einzelnen Tag durchschnittlich 15,1 Hektar an sogenannten produktiven Böden verbraucht. Fast ein Fünftel der bewohnbaren oder landwirtschaftlich nutzbaren Fläche Österreichs ist mittlerweile verbaut, insgesamt sind das knapp 573.000 Hektar, das ist mehr als die doppelte Fläche des Bundeslands Vorarlberg.

Nikbakhsh fragte natürlich bei der Politik nach - und lief im Kreis: Niemand will zuständig sein, einer redet sich auf den anderen aus: Der Bund auf die Länder, die Länder auf die Gemeinden. Überlässt man das Handeln also unserer Volksvertretung, passiert weiter - nichts.
Dann haben wir zwar ein (in zweierlei Hinsicht) irres Netz an Straßen, und Fachmarktzentren in ungefähr jedem zweiten Kaff - das dann wahrscheinlich eher kein Kuhdorf mehr sein wird. Und wir haben die europaweit größte Dichte an Supermärkten - die dann allerdings weniger anbieten, weil mangels Böden immer weniger angebaut werden kann. Nebenher steigt, siehe Anfang dieser Geschichte, die Gefahr von Hochwassern, weil Starkregen immer weniger Flächen zum Versickern und Abfließen findet.
In Österreich werden Flächen schneller versiegelt als die Bevölkerung wächst. 2002 hatte die damalige schwarzblaue Regierung unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel in ihrer „Nachhaltigkeitsstrategie" für 2010 einen maximale Bodenbeanspruchung von 2,5 Hektar täglich festgesetzt. Tatsächlich beträgt sie derzeit zwischen 12 und 15 Hektar am Tag. „Nicht selten geht die Versiegelung mit erheblichen Widmungsgewinnen einher - so ein Stück Bauland ist ja ungleich wertvoller als ein Stück Acker - was allerdings spätestens dann nicht mehr so sein wird, wenn´s keine Äcker mehr gibt", erläutert Nikbakhsh in seinem Podcast das einigermaßen absurde Bedingungsgefüge. „Ja, und es kommt auch immer wieder vor, dass die Profiteure dieses Systems in den Gemeinderäten sitzen - zuweilen sind es auch die Bürgermeister."

Nun ist allerdings etwas Bemerkenswertes passiert. Der Verein All Rise klagt die Politik, namentlich die Republik Österreich und die Länder Öberösterreich und Niederösterreich. Grundsätzlich vergehe sich, erklärt Johannes Wesemann als Nikbakhshs Gast im Podcast, jedes Bundesland an seinen Böden, aber OÖ und NÖ tun dies in besonders krasser Weise.
Wesemann hat früher übrigens als örtlicher General Manager Uber in Österreich großgemacht - nun verfolgt er als einer der Gründer von All Rise die Aufgabe, Umweltzerstörungen vor Gericht zu bringen. Er vertritt die These, dass der Kampf für das Klima sehr stark in internationalen Gerichtshöfen stattfinden wird und auch muss, weil es klarer Entscheidungen bedarf. Ein erster Schritt war dabei, den ehemaligen brasilianischen Rechtsaußen-Präsidenten Jair Bolsonaro beim Internationalen Strafgerichtshof wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzuzeigen (ein Umweltverbrechen ist dem Strafgerichtshof unbekannt). Freilich landete das Verfahren wegen der Invasion Russlands in der Ukraine auf der langen Bank, jetzt soll es wiederaufgenommen werden.
Die Klage gegen Bund, OÖ und NÖ ist eine sogenannte Staatshaftungsklage vor dem Verfassungsgerichtshof wegen nicht erfolgter Umsetzung von EU-Klimaschutzverordnungen und kann auf der Webseite bodenverbrauch.org heruntergeladen werden. „Da sowohl der Bund wie auch einzelne Bundesländer viel zu wenig unternehmen, um den Bodenverbrauch einzudämmen, ist zu erwarten, dass Österreich bis zum Jahr 2030 wegen des Zukaufs von Emissionszertifikaten Zahlungen in Höhe von ungefähr vier bis neun Milliarden Euro leisten muss. Diese Kosten tragen letztlich alle Steuerzahler*innen. Entsprechende Klimaschutzmaßnahmen, inklusive einer umfassenden Bodenschutzstrategie, könnten die Ausgaben wesentlich reduzieren.
Ziel ist es, die Politik zu einer aktiven Eindämmung des Bodenverbrauchs zu zwingen", wird die Klage begründet.

„Es wird ja immer gesagt, dass Österreich Europameister im Bodenverbauen ist", sagt Wesemann. „Das wahre Problem ist aber, dass wir nur 37 Prozent der Bodenoberfläche bewohnen und bewirtschaften können. Zweimal die Fläche Vorarlbergs ist schon verbaut - das ist in einem Land, wo man nur 37 Prozent Fläche zur Verfügung hat, natürlich eine Katastrophe."
Welche Wege kann nun das Verfahren nehmen?
„Im Idealfall sagt der VGH, der Klage wird stattgegeben und der Gesetzgeber muss nachschärfen. Wenn der Verfassungsgerichtshof sagt, wir weisen das zurück, liegt es an uns, die Begründung anders aufzusetzen. Zweitens könnte der VGH die Klage den Ländern zustellen und um Stellungnahme ersuchen. Die dritte Möglichkeit ist, dass er es dem EuGH übergibt und dieser dann ein Urteil fällt. Das wäre insofern interessant, weil dann eine Verbindlichkeit für alle europäischen Mitgliedsstaaten geschaffen wird. Das wäre eine europäische Dimension und ist auch das ursprüngliche Ziel von uns".