Brigitte Bierlein ist gestorben, das trifft alle, die guten Willens sind, Klasse und Grandezza schätzen und nichts von ihrer schweren Krankheit wussten, wie ein Keulenschlag.
Auf das übliche Betroffenheit-Geseier seitens der hiesigen politischen Nomenklatura wird hier nicht näher eingegangen - auf HBP Alexander Van der Bellens glaubwürdig empathischen Nachruf allerdings schon: er hat schließlich Bierlein vor genau fünf Jahren - für die meisten wohl überraschend - nach der Ibiza-Affäre und Regierungsauflösung als erste Bundeskanzlerin Österreichs der Öffentlichkeit vorgestellt.
Ich habe Brigitte Bierlein einmal persönlich erlebt, das war 2019 im Foto-Museum WestLicht in der Westbahnstraße. Anlass war eine Ausstellung wegen eines Jubiläums, ich glaube es war anlässlich 180 Jahre Fotografie, aber nageln Sie mich nicht auf die genaue Zahl fest.
Vielleicht weil Österreich sich schon früh um Fortschritte in der Fotografie verdient gemacht hat, wurde zu diesem Anlass auch seine politische Führung vorstellig. Der Tross aus mehreren schwarzen Limousinen vor dem Tor des WestLicht war natürlich nicht zu übersehen, trotzdem schaffte die ganze honorige Corona - wenn Sie mir den Terminus nachsehen - einen relativ dezenten Einzug in die Veranstaltung, vor der man sich noch zwanglos ein Glas Wein oder was auch immer gönnte.
Bierlein hatte naturgemäß eine Rede zu halten, was sie ebenso naturgemäß souverän absolvierte, und wurde anschließend von Interessenten aller Art belagert, ins Gespräch verwickelt, ich verkneife mir zu schreiben belästigt. Ich habe mit Brigitte Bierlein nicht gesprochen; ein paar Fotos habe ich gemacht, auf dem oben abgebildeten sehen Sie hinter ihr ganz rechts einen weiteren (späteren) Bundeskanzler.
Ein wenig ironisch schien sie mit dem ganzen Rummel um sie herum umzugehen, aber keineswegs herablassend. Locker ihren Repräsentationsagenden nachkommend, vermittelte sie Interesse und Aufmerksamkeit - Pflichtbewusstsein und Natürlichkeit in einem. Vielleicht deswegen, weil sie keinerlei Ambitionen auf eine Verlängerung ihrer Amtszeit als Bundeskanzlerin hegte.
Und das war recht eigentlich sehr bedauerlich. Brigitte Bierlein war ein Typ Politiker - das generische Maskulinum steht nicht zufällig da - für den es in Österreich keine Blaupause gab: Ruhig, zurückhaltend, unaufdringlich und sachlich wie kein Bundeskanzler vor und nach ihr. Das war tatsächlich ein neuer Stil, den ihr Vorgänger und Nachfolger zwar vollmundig versprochen, nie aber nur ansatzweise praktiziert hatte. Ein paar Monate nach Brigitte Bierlein war wieder Kurz in Amt und Würden und das ganze Debakel mit Eigen-PR im Dauermodus, Klientel-Politik, Polarisierung und Freunderlwirtschaft nahm in aller effekthascherischen G‘schaftigkeit (wieder) seinen Lauf. Eine Ära - auch wenn sie nur ein halbes Jahr gedauert hat - war zu Ende gegangen. Dass über diese jetzt in finaler Unerbittlichkeit der Deckel gefallen ist, ist zum einen äußerst traurig. Zum anderen ein Anlass für ehrendes Angedenken.