Es muss früh 2019 gewesen sein, da erreichte mich die Einladung des sehr geschätzten Kollegen Heimo Mürzl, einen Text meiner Wahl zum Thema Popmusik zu liefern. Das Ganze war für die Anthologie „Noch mehr Lärm!", die er zusammen mit dem Autor und Musiker Wolfgang Pollanz in dessen Edition Kürbis herausgab. „Noch mehr Lärm!" war ein Sequel zum Buch „Lauter Lärm", das das gleiche Duo im gleichen Verlag ein Vierteljahrhundert früher, 1994 also, herausgegeben hatte.
Ich sagte gerne zu.
Ich hatte schon Routine bei solchen Projekten, denn ein paar Jahre zuvor hatte ich bei der (von Pollanz gemeinsam mit Wolfgang Kühnelt beim Milena Verlag herausgegebenen) Anthologie „Das letzte Lied" mitgemacht, worin heimische Pop-Prominente und sonstwie beruflich mit dem Genre Befasste - Ernst Molden, Martin Blumenau, Austrofred, Martin Amanshauser, Boris Bukowski, Walter Gröbchen, Thomas Petritsch u.v.a. - beschreiben, welche Musik bei ihrer Beisetzung gespielt werden soll. Als allerdings Mürzl meinen Text für „Noch mehr Lärm!" einmahnte, hatte ich weder eine müde Zeile geschrieben noch überhaupt einen blassen Schimmer, worüber ich mich denn auslassen sollte.
Ich griff dann - ich hielt es für eine absolute Verlegenheitslösung - auf das (vermeintlich) naheliegendste Thema zurück: Dass die Popkultur ihre einstmals Leben prägende Bedeutung verloren hat und zur verkaufsfördernden Beschallung von Shopping Malls verkommen ist.
Es ging sich alles aus. Die Geschichte kann übrigens hier nachgelesen werden, weil die Kollegen der „extra"-Beilage der Wiener Zeitung, von der übrigens neben Mürzl und mir auch deren Chef Gerald Schmickl und deren Musikchef Andreas Rauschal zu „Noch mehr Lärm!" beigetragen haben, sie freundlicherweise als Aufmacher auf die „extra"-Titelseite und natürlich auch ins Netz gestellt haben.
Schon früher hatte ich mich zu meinem Thema viel mit dem Musiker und Journalisten Robert Rotifer ausgetauscht. Er trug (und trägt vermutlich noch immer) den Bedeutungsverlust der Popkultur mit Fassung. So sagte er etwa in einem 2015 erschienenen großen Interview, das ich fürs „extra" mit ihm geführt habe, lapidar: „Ich habe kein großes Problem damit, dass die Popkultur ihren leitkulturellen Anspruch nicht mehr erfüllen kann. Soll sein."
Lange Zeit habe ich das ziemlich ähnlich gesehen. Wie ich aber die Illusion verloren habe, dass sich die Blödheiten und Gemeinheiten auf dieser Welt grosso modo doch irgendwie (durch Gutes) austarieren und wir rasend schnell auf einen Point Of No Return zusteuern, kamen mir Zweifel an der Berechtigung solchen Gleichmuts.
Nicht dass es substanziell wirklich ins Gewicht fällt, weil einfach zu viele Widrigkeiten auf das Weltgeschehen einwirken. Aber der augenscheinlich unaufhaltsame Zulauf von immer mehr Menschen zu monströsen Verbrechern, Schmalspurgaunern, Lügnern, Rattenfängern und Blendern, die weltweite Gewalt gegen Frauen, die Art, wie Diskurse geführt werden, wie Argumente „ausgetauscht" werden, wie alternative „Fakten" geschaffen werden - all das und noch mehr passt verdammt gut zur Wirkohnmacht des Pop. Eine Popkultur, deren integrative Kraft intakt wäre, könnte einer Witzfigur wie Donald Trump ordentlich zusetzen. Nicht notwendigerweise seine Wahl verhindern, aber spürbare Nadelstiche in seinen fetten Ichsprechsausrechtlichengründennichtauswas versetzen.
Jawohl - die Grausigkeiten in Politik und Gesellschaft und der Verfall der Popkultur hängen m.E. zusammen.
Verlust der Strahlkraft
Ungefähr bis zu Grunge und der in Hochblüte stehenden HipHop-Kultur in den frühen 90er Jahren konnte Pop - nach den Evolutionsschüben in den 60er Jahren, nach Glam Rock, Disco, Punk, New Wave und Rap - die Illusion aufrechterhalten, auf die Welt einwirken können. Dann aber versiegte in einer sich in immer mehr Stil-Fraktionen aufsplitternden Musikszene als erstes der Nachschub an überlebensgroßen Identifikationsfiguren und Role Models mit der Strahlkraft eines Bruce Springsteen, Michael Jackson, eines Prince oder einer Madonna. Als nächstes brachen aus bekannten Gründen die Verkaufszahlen bei Tonträgern ein. Und mit seinen glitzernden Trugbildern und wirtschaftlichen Fundamenten verlor Pop zuschlechterletzt auch sein Coolness-Zertifikat, das er noch in den frühen Nuller-Jahren innegehabt hatte und das sich alle möglichen Gestalten gerne angeheftet haben: Gerhard Schröder war Pop, Franzobel war Pop, Andreas Treichl war Pop, Birgit Minichmayr war Pop.
Heutige Personen des öffentlichen Lebens werden nicht mehr mit Pop-Appeal aufgewogen. Donald Trump mag zwar aussehen wie die Karikatur eines Pop-Art-Porträts, ist aber definitiv alles andere als Pop. Donald Trump ist brachiales Privatfernsehen, ungefähr RTL II. Herbert Kickl und seine blauen Radaubrüder sind ganz klar Bierzelt. Auch Sebastian Kurz ist nicht Pop, auch wenn ihn sein Medien-Wauwau Gerald Fleischmann völlig verblendet und fast auf Verleumdung einklagbar einmal mit Kurt Cobain verglichen hat. Nein, Sebastian Kurz ist die Blockflöte bei der Familienjause am Pfingstmontagnachmittag.
Die Gefolgschaft der Rechtspopulisten will gar nicht cool sein
Pop ist dem Wesen nach tatsächlich cool. Seine klassische Versprechen sind Distinktion und Individualität - konstituierende Komponenten für Coolness, wenn man den Begriff in seiner ursprünglichen Bedeutung versteht (und nicht, wie in unseren Breiten gerne üblich, einfach nur als Synonym für „geil", „super" etc.). In „cool" steckt wesensimmanent auch eine gewisse Gefasstheit, Kontrolliertheit, Gelassenheit.
Die Politik müsste, wenn sie „cool" sein wollte, diese Codes reflektieren. Und früher haben ja auch - gerade rechte - Politker tatsächlich versucht, insbesondere über den Weg der Distinktion cool rüberzukommen. Jörg Haider hat damit umzugehen gewusst, und noch H.-C. Strache war bestrebt, sich als Rapper und durch nächtliche Disco-Besuche vom Bild des grauen Berufspolitikers abzugrenzen und andere Zielgruppen zu erreichen, von denen man zwar nie ein sehr genaues Bild hat, aber weiß, dass man sie über politische Routine nicht erreicht.
Heute weckt keine/r aus dem Haufen rechtspopulistischer Führerfiguren - Trump, Weidel, Kickl, Meloni, Erdogan, Orbán und wie sie alle heißen - auch nur im Traum den Anschein, cool zu sein. Das liegt daran, dass ihr Publikum für Signale dieser Art völlig unempfänglich ist. Denn es ist nicht etwa so, dass, wie manche treuherzigen Kommentatoren immer noch vermeinen, ihre Anhänger aufgeklärt werden müssten, wie verkommen, wie verrottet, wie buchstäblich uncool die Ideologien sind, die sie repräsentieren. Im Gegenteil, sie wissen ganz genau, wem sie warum folgen: Sie folgen Kickl gerade wegen seinem Gekläff gegen Eliten und Ausländer. Sie folgen Trump gerade wegen seiner sexistischen Ausfälle und sanktionieren bewusst seine Lügen. Sie folgen Orbàn gerade wegen seiner autokratischen Amtsführung. Das Naserümpfen der Intelligenzija und des liberalen Lagers stört sie schon lange nicht mehr.
Vielmehr wollen sie sich gerade von der Last der Liberalismus - relativieren, abwägen, differenzieren, zuhören bedeutet ja auch Hirn-Arbeit - befreien. Wütend auf Eliten, von denen sie sich verarscht fühlen, humorlos gegen Ironie und schnell beleidigt von Kritik an ihren Wertvorstellungen, dafür nicht so zögerlich beim Einsatz der Fäuste oder von Waffen, wollen sie sich endlich nicht mehr zusammenreißen und zivilisatorischen Standards genügen müssen. Sie beharren auf ihr Recht auf sexistische Zoten und rassistische Witze, denn die hat´s ja früher auch gegeben. Ihnen soll keiner mehr erzählen, dass sie die Umwelt belasten, wenn sie mit dem Auto 70 Meter zum Supermarkt fahren. Sie lassen sich ihr Fleisch sieben Mal die Woche nicht von kleinlichen Einwänden von wegen Gesundheit, Tierwohl oder gar Klimaschutz madig machen.
Sie wollen, kurzgesagt, nicht begreifen, dass sich die Welt wandelt und Wandel braucht. Sie wollen nur die Uhren auf Gestern stellen und vor dem Heute Ruhe haben. Die genaue Antithese zur Popkultur, die sie wesenhaft gar nicht mehr erreicht.
PS: Eine Taylor Swift allein kann die Welt nicht retten.