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27 Sep
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Das war der Wahlkampf

Es waren Marathon-Sessions vor den Bildschirmen. Ein streng subjektiver Rückblick auf eine Wahlkampfberichterstattung, die viele Seher erreichte und vielen zu viel war.

Es war bei einem Talk im Hangar-7, da war Sebastian Kurz geladen, um sich Fragen von Bürgern zu stellen. Der ÖVP-Chef kam erst ein, zwei Minuten, nachdem die Sendung schon angefangen hatte, aufs Podium und musste live verkabelt werden. Die darauffolgende Diskussion war die erste und einzige dieses Wahlkampfs, in der Kurz hin und wieder grantig wurde, für Momente seine nachgerade unheimliche, eisige Beherrschung - seine größte Stärke in diesem Wahlkampf - verlor. Kurz war direkt von einer Elefantenrunde im Salzburger Landestheater in den Hangar-7 gekommen.

Muss man noch mehr über das Dreieck Politiker - Wahlkampf - Termindruck sagen? Fast jeden Tag eine Diskussion in ORF, Servus TV, Puls 4, Krone TV, Puls 24, ATV, Oe24 TV, aber auch in diversen Portalen, Radios, Podcasts usw. Dazu noch Termine bei Magazinen und Zeitungen, Auftritte in Bierzelten, Strandbädern oder auf Berggipfeln u.v.a. Und das wochen-, monatelang - für Werner Kogler von den Grünen, der zuvor schon den EU-Wahlkampf bestritten hatte, sogar mehr als ein halbes Jahr. In diesen Wochen und Monaten haben sich die sechs wahlwerbenden Politiker/innen Beate Meinl-Reisinger (NEOS), Peter Pilz (Liste Jetzt), Pamela Rendi-Wagner (ÖVP), Norbert Hofer (FPÖ), Kurz und Kogler unzählige Male zu Konfrontationen getroffen. In der Endphase des Wahlkampfs müssen sich die praktisch täglich gesehen haben. Dass ihnen dabei nicht irgendwann mit einem unwiderstehlichen Würgereflex das Vorverdaute hochgekommen ist, spricht dafür, dass sie alle einen guten Magen haben.

Irgendwo habe ich gelesen, in keinem anderen Land der Welt werde so viel Wahlberichterstattung gemacht wie in Österreich. Wie die Quoten indizieren, sind die Sender damit sehr gut gefahren. Die letzte Elefantenrunde im ORF, die die Wahlkampfberichterstattung beendet hat, erreichte weit mehr als eine 1 Million Seher. Trotzdem waren von Anfang an Klagen über „Overkill“ so todsicher wie beim ersten Schnee das Verkehrschaos auf den Straßen. Ebenso Reaktionen der Art „so einen Schwachsinn tu ich mir nicht an“.

Immer wieder die (mehr oder weniger) immer gleiche Inszenierung

Ich habe so viele Wahlkonfrontationen wie möglich gesehen. Flächendeckend ging schon allein technisch nicht, da sich manche zeitlich überschnitten. Mangels ausreichender Kapazität habe ich Oe24 TV in unserer Berichterstattung ignoriert und (weitgehend) von meinem Hinsehen verschont. Und die eine oder andere Diskussion werde ich wohl unabsichtlich übersehen haben.
basti glaskugelWas hat´s gebracht? Den Kader von wählbaren Kandidaten von drei auf zwei reduziert. Der Erkenntnisgewinn ist also eher bescheiden. Dazu kommt das Repititive, das Aufwärmen der immer gleichen Argumente, das Wiederkäuen des von den Kandidaten oder ihren Spin-Doktoren festgelegten Standard-Vokabulars: Wir-haben-die-Schuldenpolitik-beendet-wir-haben-eine-erfolgreiche-Migrationspolitik-gemacht-wir-waren-immer-transparent-wir-brauchen-eine-menschliche-Politik undsoweiter blablabla.
Es wird immer das selbe Stück in der selben oder kaum variierten Inszenierung gegeben - lediglich die Dramaturgie ändert sich durch die Vorgaben der TV-Sender.

Und trotzdem waren´s zum Teil faszinierende Aufführungen, um im Theaterbild zu bleiben. Denn die Tagesverfassung der Kandidaten ist nicht immer gleich, da können die Spin-Doktoren noch so eifrig herumspin(n)en. Dazu kommt, dass sich bei manchen Kandidaten der Auftritt über die Langstrecke hin ändert. Es wird hier nicht zum ersten Mal festgestellt, dass Pamela Rendi-Wagner im Verlauf des Wahlkampfs immer stärker wurde. Es war auch nachzuverfolgen, wie Norbert Hofer, der sich anfangs noch vergleichsweise moderat gegeben hatte, mit Fortdauer das klassische Gesicht der FPÖ in die Auslage stellte. Bei konstanten Performern wie Kurz, der lebendigen Meinl-Reisinger und dem witzigen, allerdings nicht übertrieben mit zeitlicher Ökonomie und Disziplin begabten Kogler war es immerhin sehenswert, wenn sie einmal ein wenig aus dem Konzept gebracht wurden. Das geschah, wenn wie bei den Elefantenrunden im ORF und auch in Krone TV Fragen gestellt wurden, mit denen sie und ihre Einflüsterer nicht gerechnet hatten: „Warum soll ein Mindestsicherungsbezieher Sie wählen, Herr Kurz?“. „Frau Rendi-Wagner, was können Sie Positives über Sebastian Kurz sagen?“.

Puls 4 nüchtern und effizient

Bildschirmfoto 2019 09 27 um 17.27.16Will man abschließend die Qualität der einzelnen Sender bewerten, so ist just dem Privatsender Puls 4 die größte Sachlichkeit zu bescheinigen: Das waren Diskussionen ohne Firlefanz in ausreichendem zeitlichem Rahmen unter der Leitung einer kompetenten Moderatorin (Corinna Milborn). Der ORF darf sich freuen, mit Tobias Pötzelsberger einen echten Star als Moderator der „Sommergespräche“ kreiert zu haben. Bei den Diskussionen aber wurde - im durchaus löblichen Bestreben, Neues zu versuchen - zu viel auf zu engem Raum hineingepackt.

koglerDurchaus achtbar indes schlugen sich Krone TV, ATV und Servus TV. Und als unerwartetes Highlight erwiesen sich die Podcasts und Webstreams der profil-Talks, die von allen Spitzenkandidaten außer Hofer wahrgenommen worden sind. Die launigen Debatten erreichten laut profil-Herausgeber Christian Rainer gute fünfstellige Zugriffsraten. Sage jetzt nur keiner, man habe keine Gelegenheit gehabt, sich von unseren künftigen Volksvertretern ein ordentliches Bild zu machen.

bj