Plus mal plus = minus Screenshots ORF, Twitter
24 Aug
geschrieben von 

Plus mal plus = minus

Das Sommergespräch führte es schön vor: Herbert Kickl stellt die Gesetze der Mathematik auf den Kopf. Die der Vernunft sowieso. Und die der Humanität erst recht.

„Sie kommen immer mit irgendwas daher“. Ein größeres Kompliment konnte Herbert Kickl Lou Lorenz-Dittlbacher nicht machen, besagte es doch, dass die Moderatorin der Sommergespräche gegen die ärgsten Faktenverdrehungen des FPÖ-Chefs noch immer ein Argument wusste und eine Statistik, die es untermauerte. Ein Bravourakt. Denn eines muss man Kickl lassen: Er kann Leute schwindlig reden. Die Kommunikationsberaterin Nina Hoppe warnt zu Recht vor ihm.

hoppe.png

Kickls rhetorische „Kunst“ besteht darin, dass er seine Spins mit Fakten und Argumenten begründet, deren Stichhaltigkeit vernünftigerweise nicht in Abrede gestellt werden kann. Herbert Kickl gelingt solchermaßen, das mathematische Gesetz minus mal minus = plus umzudrehen: plus mal plus = minus.
außenBeispiel Klimawandel:
„Es ist sicher eine große Herausforderung, aber wir müssen uns überlegen, was die Steuerungsmöglichkeiten sind, die wir haben. Da erleben wir in der Klimadebatte ähnlich wie in der Corona-Diskussion einen Verlust der Verhältnismäßigkeit. Wenn man ansieht, was sich die Europäische Kommission binnen kürzester Zeit vorgenommen hat, und das in Relation zum weltweiten CO2-Ausstoß, merke ich, dass die EU gerade einmal für 8 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich ist.“ (Stimmt)
„Die Chinesen kümmert das überhaupt nicht, die Amerikaner kümmert das wenig, die Inder kümmert das vermutlich am allerwenigsten.“ (Stimmt).
„Dann glauben Sie doch nicht wirklich, dass Sie mit einer klitzekleinen Veränderung in Österreich, die gleichzeitig Wohlstand und Arbeitsplätze aufs Spiel setzt, etwas bewirken können.“ (Minus)
Beispiel Frauen in Afghanistan:
„Wie Sie wissen, hat eine Streitmacht unter glorreicher Federführung der Vereinigten Staaten 20 Jahre lang Krieg in Afghanistan geführt. Dann sind sie relativ überfallsartig abgezogen (sic!). Die Amerikaner toben sich dort aus, die Deutschen sind dabei, die Franzosen mittendrin - und Österreich soll dann die Frauen retten. Jetzt würde ich gerne genau diese Staaten in der Verantwortung sehen.“ (Stimmt).
„Diese Diskussion wird verlogen geführt. Solche Bilder (von Menschen, die verzweifelt zu migrieren versuchen, Anm.) können Sie jeden Tag aus Afrika bekommen, Sie können vergleichbares Leid aus Südamerika produzieren, Sie können das in China finden.“ (Stimmt).
„Wissen Sie, wofür ich mich zuständig fühle als Österreicher? Da geht´s darum, nicht noch mehr Gewalt, Menschen, die nicht integrierbar sind, ins Land zu holen. Das ist ja die Absicht, die die Europäische Union schon wieder vorantreibt und das ist ja auch das, was da täglich passiert.“ (Minus)
In beiden Fällen also: Symptome korrekt benannt und daraus, als wäre es ein Naturgesetz, den (Trug)Schluss abgeleitet, es wäre falsch - oder, um in der Sprache der Rechten zu bleiben, volksschädigend -, Maßnahmen zu ergreifen, zu helfen.

Okay, viel mehr ist von unserer Warte aus zum Sommergespräch mit Herbert Kickl, dem Heroen der Impfverweigerer, Coronaverharmloser und Klimakrisenignoranten, nicht zu sagen. Vielleicht soviel noch: Die rhetorischen philosophischen Bocksprünge des selbsternannten Hegelianers Kickl wird seine Hardcore-Klientel nicht begreifen. Die weiß nicht einmal, wer Georg Wilhelm Friedrich Hegel war und versteht Dialektik allenfalls als Reden (oder Singen oder Schreiben) im Dialekt. Und um im Bild zu bleiben: Was immer es ist, das den demokratischen Diskurs definiert - Kickl ist die Antithese.

Bildschirmfoto 2021 08 24 um 09.43.14Der Outfit, die Krawatte, der Anzug? Das beschreibt heute Armin Thurnher unnachahmlich in seiner Seuchenkolumne: „Dass der oppositionelle Impfclown Herbert Kickl jetzt auch anfängt, sich stylen zu lassen und dabei im ORF-Sommergespräch aussah wie ein räudiger Wolf, der zu lange im Pudelfrisiersalon war, rundet das Bild ab. Wenn für jede Impflüge, die Kickl aus dem Maul sprang, die sprichwörtliche Kröte gesprungen wäre, hätte er es nicht mehr aus dem Studio geschafft, sondern sich auf dem Schleim die Beine gebrochen. Ich höre nicht auf, die Contenance des Professors Filzmaier zu bewundern, der im Angesicht solch grottiger Unterhaltungskünstler vollen Ernst bewahren muss und sich mit Müh und Not in tiefgekühlten Sarkasmus rettet. Er will ja weiter beschäftigt werden.“

Besagter Professor Peter Filzmaier, der gemeinsam mit der stellvertretenden Standard-Chefredakteurin Petra Stuiber im Anschluss an das Gespräch in der ZiB 2 den Auftritt des blauen Führers analysierte, wertete Kickls gestern zunächst vergleichsweise zurückhaltenden Ton als „taktisch begründetes Menscheln“ vor der oberösterreichischen Landtagswahl. Filzmaiers Prognose, Kickl werde aus politischer Opportunität mittelfristig überhaupt gemäßigter auftreten, halten wir allerdings für kühn. Das passt einfach nicht zu Kickls Persönlichkeitsbild - irgendwann kommt wieder Gezeter und aggressive Agitation.

Die Sommernachgespäche bei Ingrid Thurnher mit Politberater Heimo Lepuschitz, einem der wenigen gemäßigten und anderen Argumenten zugänglichen Blauen, Ö1-Info-Chefin Gabi Waldner, Körpersprachen-Experte Stefan Verra  und profil-Redakteurin Angelika Hager - drei Kärntner*innen also gegen den Rest der Welt oder wenigstens dieser Diskussionsrunde - konnte naturgemäß tauch nur eher Verhaltens- denn Inhaltsanalysen liefern. Gut brachte es Hager gleich eingangs auf den Punkt, als sie sagte: „Er war am Anfang sehr verhalten, hat ein bisserl Kreide gefressen und hat mit dem Mainstream geschmust, und dann ist er wieder losgaloppiert und war auf eine erschreckende bis grausame Weise unterhaltsam.“ Etwas grausam - auf jeden Fall aber schwindelerregend - für vom Tageswerk strapazierte Augen war allerdings auch Ingrid Thurnhers schwarzweißgestreifte Bluse: Da konnte man glatt seekrank auf dem Wohnzimmersofa (bzw. zum Sofa Surfer) werden.

Für den ORF ist Kickl natürlich ein Quoten-Hit. Erwartungsgemäß performte sein Sommergespräch sehr gut. 849.000 Seher, 32 Prozent Marktanteil befeuerten auch die anschließende ZiB 2, die es auf 918.000 Seher und 40 Prozent MA brachte.

Das ORF-Sommergespräch mit Herbert Kickl kann - wie immer noch 6 Tage lang - hier nachgesehen werden

lackner.png

 kot.png

paspert.png

gutmensch.png

reimon.png



Unterstützen Sie BranchenBlatt!

 

Werden Sie Teil des Projektes! BranchenBlatt als Medien-Start-up hat die Krise besonders getroffen. Mit Blut, Schweiß und Geld stehen wir aber hinter dem Projekt. Weil wir der Überzeugung sind, dass der eingefahrene Markt in diesem Bereich dringend frischen Wind benötigt. Und dass unabhängige Berichterstattung ohne Verhaberung der gesamten Branche mehr Glaubwürdigkeit und Gewicht verleiht. 

Unterstützen Sie Ihr neues BranchenBlatt dabei! Wir sind weiterhin bemüht, seriöse und spannende Nachrichten zu liefern. Doch in Zeiten wegfallender Werbeeinnahmen wird die Aufgabe nicht leichter. Sie können für BranchenBlatt in den Ring steigen und mit Ihrer Spende zu einem neuen Mediendiskurs in der Branche beitragen!

 


paypal me 300x140