Noch bis vor einem Monat herrschte unter Medienbeobachtern die Meinung vor, Alexander Wrabetz werde am 10. August ziemlich sicher zum vierten Mal zum Generaldirektor des ORF gewählt. Die Kandidaturen von ORF1-Channelmanagerin Lisa Totzauer und insbesondere Vizefinanzdirektor Roland Weißmann, die beide der bürgerlichen Reichshälfte zugerechnet werden, haben die Lage signifikant verändert: Im Stiftungsrat, der den ORF-General bestimmt, dominiert eine bürgerliche Mehrheit. Und als Wunschkandidat der türkisen ÖVP ist Weißmann eindeutiger Favorit.
Was bedeutet das für den ORF? Diese Frage erörterte Golli Marboe, Sohn des legendären Unterhaltungschefs Ernst Wolfram M. und Mitglied des freilich ziemlich machtlosen ORF-Publikumsrats, in der jüngsten, üpbrigens runden 50. Folge seiner Reihe „Content - Der Medientalk“ auf Radio Stephansdom, die wie gehabt jetzt als Podcast abgerufen werden kann.
Ist Wrabetz jetzt also weg vom Fenster? „Wrabetz hat immer noch eine Chance, aber sie ist relativ gering. Ich hab ihn aber schon so oft abgeschrieben, deswegen bin ich vorsichtig geworden“. Meint Standard-Medien-Insider und ORF-Experte Harald Fidler, den Marboe ebenso wie Otto Friedrich, den Leiter des Ressorts Religion, Film und Medien bei der Wochenzeitung Die Furche, für die Folge zur ORF-GI-Wahl ins Gebet nahm. Und wer wird Alexander Wrabetz wählen? Teile der Betriebsräte, vermutet Fidler. Alle drei Gesprächspartner - der logischerweise keineswegs „objektive“ Marboe inklusive - orten ein eher mäßig entwickeltes Bewusstsein für den Stellenwert des ORF in der Bevölkerung. Beziehungsweise, wie es Friedrich ausdrückt: „Der ORF ist schon im Bewusstsein der Menschen vorhanden, aber er ist keine Herzensangelegenheit. Ich vermute stark, dass, wenn es stärkere Eingriffe gäbe, der Aufschrei enden wollend wäre. Man kann eigentlich von kaum einer zivilgesellschaftlichen Gruppe ausgehen, die eine große Fahne ,Wir brauchen den ORF’ vor sich hertragen würde.“
Warum ist es nun so wichtig, wer ab 10.8. am Küniglberg im Chefsessel sitzt? Ein Blick auf zwei Nachbarländer mag zur Antwortfindung hilfreich sein. Aber durchaus auch Erinnerungen an die ORF-Vergangenheit.„Das wesentliche Verdienst von Alex Wrabetz war sicher, dass er das System Mück beendet hat“, erinnert Moderator Marboe an den berüchtigten Chefredakteur Werner Mück, einem strikten Erfüllungsgehilfen der damaligen Generaldirektorin Monika Lindner und somit auch des damaligen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel.
Die derzeit viel heraufbeschworene Gefahr der Orbanisierung sehen die Diskutanten indes auch unter einer/m neuen Generaldirektor*in allenfalls bedingt. „Es ist berechtigt, auf Orbanisierung hinzuweisen, weil es einfach krasse Beispiele in unserer Nachbarschaft gibt. Ich sehe im Augenblick Gottseidank keine Versuche in diese Richtung“, sagt Friedrich. „Man sieht aber, wenn man etwa nach Slowenien schaut, dass so etwas sehr schnell gehen kann.“
„Die Sorge der Orbanisierung ist natürlich auch ein bisschen ein Kampfmittel von Alexander Wrabetz: Werde ich abgewählt, setzt eine Orbanisierung ein“, erklärt Fidler. „Kann man diskutieren, muss man sich anschauen. Eines ist allerdings klar: Roland Weißmann ist der Kandidat des Kanzleramts. Dass man dort glaubt, man kann sich auf ihn verlassen, ist schon einmal gefährlich - wie sehr er auch immer seine Unabhängigkeit beteuert. Auch das wird man sich anschauen müssen. Ich sage nicht, dass ich ihm das nicht zutraue, ich sage nicht, dass er ein Parteisoldat mit türkiser Uniform und grünen Einsprengseln ist, aber das muss er zeigen. Es gibt, wie man so schön sagt, einen Anfangsverdacht.“Indessen fokussiert der Standard-Medien-Ressortschef das Augenmerk auf einen öffentlich bislang kaum beachteten, gleichwohl brisanten Punkt: „In den nächsten Jahren werden 500, 600 Leute vom ORF in Pension gehen. Das ist eines der größten Austausch- und Rekrutierungsprogramme - und ich glaube, dass darin eine der größten Hoffnungen des türkisen Lagers liegt, diesen traditionell gefühlt rot-grünen ORF in eine etwas andere Richtung zu kriegen. Und so lange der ORF in seiner derzeitigen Form organisiert ist, gibt´s genau eine Person, die über Einstellung oder Nicht-Einstellung entscheidet, nämlich der Generaldirektor.“
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