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Wogen der Empörung Hermann / Pixabay
16 Jul
geschrieben von 

Wogen der Empörung

In Deutschland regt sich Kritik an der Hochwasserberichterstattung des WDR. DWDL-Chefredakteur schreibt von „unterlassener Hilfeleistung.“

Nicht wirklich zum ersten Mal hat sich Kritik an öffentlich-rechtlichen deutschen TV-Anstalten entzündet. Vor viereinhalb Jahren hatten ARD und ZDF mit ihrer Berichterstattung über die sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht 2015/16 in Köln und anderen deutschen Städten Kopfschütteln und Zorn hervorgerufen: Krampfhaft hatten sie verschwiegen, dass es Migranten und Asylwerber waren, die zur Jahreswende Frauen sexuell schwer drangsaliert hatten. Diesmal steht der WDR am Pranger der Sozialen Medien und Fachpresse: Dem größten ARD-Regionalsender wird vorgeworfen, viel zu wenig über die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen berichtet zu haben und damit seine Informationspflicht massiv vernachlässigt zu haben. Im Branchendienst DWDL betitelt Chefredakteur Thomas Lückerath einen Kommentar zum Thema sogar: „Unterlassene Hilfeleistung: WDR lässt den Westen im Stich“.

Die Hochwasserbilanz in Deutschland ist im wahrsten Wortsinn katastrophal: Über 80 Todesopfer sind bereits zu verzeichnen, das Ausmaß der Verwüstungen und wirtschaftlichen Schäden ist exorbitant. Das bevölkerungsreichste deutsche Bundesland Nordrhein-Westfalen ist in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag besonders stark von Überschwemmungen heimgesucht worden. Stark betroffen waren solchermaßen die Regionen um Düsseldorf und Wuppertal, wo um Mitternacht die Wuppertalsperre überlief. Das WDR-Fernsehen indes sendete sein Nachtprogramm weiter als wäre nichts geschehen. Im Abendprogramm hatte der WDR in den Hauptnachrichten und einer 15minütigen Spezialsendung über das Unwetter und seine Folgen berichtet. „Nach 22.30 Uhr jedoch darf nichts mehr passieren: Vom ,Jahrtausendhochwasser’ (Düsseldorfer Oberbürgermeister Stephan Keller) lässt sich der WDR doch nichts diktieren“, ätzt Lückerath in seinem Kommentar.
Im Radio übernahm der WDR die ARD-Popnacht. Erst in den Nachrichten um 1.00 Uhr fanden die Überflutungen auf dramatische Weise Erwähnung: Es gehe "um Leib und Leben“, war da zu hören, ehe die Popnacht fortgesetzt wurde.
„Es ist“ kommentiert Lückerath, „ein Sinnbild für absurde Prioritäten, wenn das Radioprogramm der ARD-Popnacht zwar gewohnheitsmäßig mehrfach die Stunde für Staumeldungen oder einen liegen gebliebenen Reifen auf der Fahrbahn irgendwo zwischen Frankfurt und Karlsruhe unterbrochen wird, aber die Radiohörerinnen und Radiohörer in NRW mit Katastrophenalarm und Evakuierungsanweisungen allein gelassen werden, weil in den trägen Behörden, die sich WDR Hörfunk und WDR Fernsehen nennen, gar nicht vorgesehen scheint, dass sich mal jemand in einer außergewöhnlichen Situation auf den WDR verlassen wollen könnte.“
Dass ab 1.30 Uhr im Halbstunden-Takt „Sondersendungen“ eingeschoben wurden“, war für den DWDL-CR auch „mehr Ohrfeige als Nutzen“: Jeweils weniger als eine Minute lang, vermittelten sie nicht mehr als puren Alarmismus.
Der Privatsender Radio Wuppertal habe, so Lückerath, vorgeführt, wie es besser geht: Vier Mal die Stunde brachte er in der Nacht auf Donnerstag die jeweilige Warnmeldung der Behörden.
„Wenn der finanziell großzügig ausgestattete öffentlich-rechtliche Rundfunk wie hier im Falle des WDR es in akuten Krisensituationen nicht schafft, ein verlässliches Informationsangebot für das Sendegebiet zu liefern, was wohl unbestritten zur Kernaufgabe gehört, dann wird bei all den Sparbemühungen der Häuser, an den falschen Stellen gespart. Der WDR betont so gerne ,Wir sind der Westen’, doch genau den hat man in der Nacht zu Donnerstag im Stich gelassen“, resümiert Lückerath, der zu der Causa Stefan Brandenburg, Programmbereichsleiter Aktuelles und Leiter des Newsrooms im WDR, ins Gebet genommen hat.
„Im Nachhinein ist man immer klüger“ ist Brandenburgs Standard-Phrase zu den offensichtlichen Versäumnissen seines Ressorts in der Katastrophen-Nacht. Immerhin räumt er ein, dass es besser gewesen wäre, aus der ARD-Popnacht auszusteigen und und eine Sondersendung zu bringen. „Nicht ganz unwichtig ist, dass wir zum Beispiel in unserem Studio in Wuppertal auch selbst stark vom Unwetter betroffen waren, so dass der Sendebetrieb gestört war“, führt er entschuldigend an.

Der WDR steht nicht zum ersten Mal für seine Berichterstattung von Flutkatastrophen in der Kritik: Auch beim sogenannten Pfingsthochwasser 2014 war dem Sender vorgeworfen worden, nicht angemessen vor der Situation gewarnt zu haben.

Bleibt die Frage, wie in Österreich der ORF in einer solchen Situation abgeschnitten hätte. Zu unserem Glück bleibt diese Frage ja hypothetisch. Aber Erfahrungswerte (2013) suggerieren: wohl etwas wendiger als die tatsächlich etwas schwerfälligen öffentlich-rechtlichen-deutschen Senderriesen. Nicht zuletzt auch wegen der immer mal wieder in Frage gestellten Landesstudios.

 



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