Peter Zellmann, Leiter des Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung (IFT) Peter Zellmann, Leiter des Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung (IFT) IFT
05 Okt
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Verhakt: Corona, Regierung und die vierte Gewalt

Der Wissenschaftler Peter Zellmann hat über die Corona-Krise Buch geführt. Herausgekommen ist eine kritische Auseinandersetzung mit der Politik, aber auch mit den Medien dieses unseres Landes.

Mit einem Mal waren wir mittendrin in der Krise. Sollten tunlichst zuhause bleiben und nur fürs Notwendigste hinaus: Einkaufen, zum Arzt oder in die Apotheke gehen. Hingehen konnte man indes sowieso nirgends, die Wirtshäuser, Kultur- und Sportstätten und wo man halt sonst noch zusammenkommt, waren ja zugesperrt worden. 

Wie vermutlich viele von uns hat Peter Zellmann die Entwicklung bis zum Lockdown gar nicht so richtig wahrgenommen. Als er dann aber von einem Mitarbeiter des Reifenhändlers, bei dem er den vorher online fixierten und niemals stornierten Sommerreifenwechsel vornehmen lassen wollte, entrüstet der Werkstatt verwiesen wurde, war er, wenn man das so nennen will, angekommen. Und da fasste der Leiter des Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung (IFT), Zukunftsforscher und undogmatische Impulsgeber für die Dienstleistungsgesellschaft den Entschluss, die Entwicklung um und durch das Coronavirus in Form eines Diariums zu reflektieren. „Die plötzliche, eklatante Freiheitsbeschränkung hat mich so intensiv beschäftigt, dass ich am Thema drangeblieben bin. Aus dem ist dieses Protokoll geworden“, erzählt der Wissenschaftler im BranchenBlatt-Interview.

Bildschirmfoto 2020 10 05 um 12.15.02Vom 23. März bis zum 31. Mai 2020 erstreckt sich Zellmanns „Corona-Tagebuch“, das unter dem Titel „Corona: Protokoll eines Blindflugs“ bei Manz erschienen ist.
Zellmann ist mit dem rigorosen Kurs der Regierung anfangs einverstanden. Er ist deutlich nicht enthusiastisch darüber, aber er nimmt ihn hin, da ihn ja keinerlei Erfahrungswerte falsifizieren können. Rasch jedoch schwindet seine Akzeptanz für die harten Maßnahmen, die die Bewegungs- und Begegnungsfreiheit beschneiden, die Kultur abwürgen, die Wirtschaft lahmlegen und damit gerechtfertigt werden, dass das Gesundheitssystem gegen Überlastung geschützt werden müsse. Sie stünden, findet Zellmann, in keinem Verhältnis zur faktischen Gefährlichkeit des Virus, das bis dato einen Bruchteil der Opfer des Grippewinters 2017/18 gefordert habe.
Ebenso stören Zellmann Tendenzen des auf Regierungs-Kurs eingeschworenen „Mainstreams“, Kritik schnell mit spinnigen Verschwörungsphantasmen gleichzusetzen. In der bisweilen martialischen Rhetorik von Regierungsmitgliedern („Lebensgefährder“ etc.) wittert er - faktisch richtig, wie sich herausgestellt hat - vorsätzliche Angstmache; in den Medien Mittäter, indem sie Kanzler Kurz und dessen Gefolgschaft gewissermaßen nach dem Mund geschrieben hätten.

Streng auf Regierungslinie

Schon am 28.3. vermittelt Zellmann schwelendes Unbehagen über eine gewisse Uniformität der regierungskonformen Berichterstattung.

„Sogar die deutsche ,Bild´-Zeitung“, hält er mit Blick über die Grenzen fest, „beginnt mittlerweile vorsichtig zu relativieren und zeigt sich im Aufmacher besorgt über ,Die Irrtümer des Robert Koch-Instituts´ und stellt im Anschluss die Frage: ,Sind die Löscharbeiten verheerender als der Brand?´
Die Print-Stars in Österreich (z.B. ,Kurier´, ,Krone´, ,Die Presse´, ,Der Standard´ u.a.) lassen solche relativierende Blattaufmacher noch vermissen. Kritische Fachkommentare oder Leitartikel in diese Richtung werden dann leider viel weniger wahrgenommen. Rainer Nowaks (,Die Presse´) nicht immer sofort durchschaubare Ironie, die an seiner Grundbotschaft (ideologische Positionierung) freilich keinen Zweifel aufkommen lässt, deutet da und dort aber erste intellektuelle Notausstiege an.
,Kurier´-Chefredakteurin Martina Salomon bleibt streng auf Regierungslinie, und das kann auch durch klug relativierende Leitartikel (Andreas Schwarz, Gerd Korentschnig) nicht wirklich ausgeglichen werden.“

Eineinhalb Monate später resümiert Zellmann: „Die ,vierte Gewalt’ der Demokratie, die Medien, haben ihre eigentliche Aufgabe, höflich ausgedrückt, vernachlässigt. Jede Kritik als Verschwörungstheorie bzw. ,Fake News´ abzutun, war wahrscheinlich der größte Fehler aller Beteiligten.“

Das hätte nämlich dazu geführt, dass man jeglichen Widerstand gegen die regierungsseitige Corona-Politik den Rechtspopulisten überlassen hätte.

Am 10.5. konstatiert er: „Vom Coronavirus sind 99,8% der Bevölkerung nicht betroffen (Gott sei Dank!). Von den 0,2% sind 98% wieder gesund geworden. Im Umkehrschluss müssen wir einen Bevölkerungsanteil der an oder mit Corona Verstorbenen von 0,007% beklagen. Die Frage muss, wertfrei und unaufgeregt, erlaubt sein: Haben diese Relationen den wirtschaftlichen Shutdown sowie Lockdown, Isolation und viele Einschränkungen für die Menschen gerechtfertigt?“ Denn es solle bedacht werden, welche Folgen Isolation, Arbeitslosigkeit und gar der existenzielle/wirtschaftliche Ruin haben. „Das Ausspielen von Gesundheit gegen Wirtschaft ist nicht ehrlich, es geht nämlich in beiden Fällen um Menschen, Menschenschicksale und Menschenleben.“

BranchenBlatt hat sich eingehend mit Peter Zellmann über sein Buch und seine Sicht der Pandemie unterhalten. Das Interview finden Sie in unserem E-Paper, das in Kürze veröffentlicht wird.

Peter Zellmann, Jg. 1947, ist einer der unkonventionellsten Wissenschaftler Österreichs mit Schwerpunkt auf Tourismus-, Freizeit- und Zukunftsforschung. Er leitet das Institut für Freizeit- und Tourismusforschung (IFT) in Wien und hat, alleine oder in Kooperation mit dem deutschen Zukunftsforscher Horst Opaschowski, zahlreiche Bücher veröffentlicht. Deren letztes ist „Corona: Protokoll eines Blindflugs“, Manz, Wien 2020