Aline Lüllmann: Bezahlschranken unterminieren Meinungsvielfalt Aline Lüllmann: Bezahlschranken unterminieren Meinungsvielfalt taz
30 Aug
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Paid Content? Nein, danke!

Sagt das Portal der Berliner taz als eines der letzten größeren Onlinemedien im deutschen Sprachraum und will das auch weiterhin tun.

Irgendwie sah es so aus, als solle das niemand richtig mitkriegen und irgendwie ist das - mit dem Nicht-so-richtig-Mitkriegen - auch gelungen. Recht unauffällig, aber letztlich eben doch haben sich auf dem Onlinemedien-Markt Bezahlmodelle auch im deutschen Sprachraum ziemlich flächendeckend durchgesetzt. Individuelle Unterschiede bestehen natürlich bei den spezifischen Ausformungen dieser Modelle - ob man alles einkassiert oder ein paar Inhalte noch frei (be)lässt, irgendwann geht unweigerlich jene Schranke nieder, an der (metaphorisch) die Hand aufgehalten wird. Newsletter haben sich im Zuge dieser Entwicklung als eine Art geraffter Zusammenfassungen der Online-Portale herausgeputzt.

Zu den wenigen größeren Onlinemedien, die diese Dynamik bislang nicht mitgemacht haben, gehören hierzulande die Portale des Standard, der es ähnlich wie jenes des britischen Guardian mit Spendenaufrufen versucht, und der amtlichen Wiener Zeitung.
In Deutschland ist die FAZ  frei zugänglich; lediglich bei Archivgeschichten muss man in die Tasche greifen. Auch die Berliner taz verlangt nicht zwingend, sondern wie Standard und Guardian allenfalls mit sanftem moralischem Druck Geld von ihren Lesern, die herzlich eingeladen sind, das Portal freiwillig zu unterstützten.
An dieser Geschäftspraxis wird das politisch gemeinhin im linksalternativen Bereich verortete Blatt auch nichts ändern, versichert Geschäftsführerin Aline Lüllmann.

Sie hat das Modell taz zahl ich entwickelt. Mehr als 30.000 Leser machen laut Angaben der Zeitung bereits davon Gebrauch. Und Lüllmann vertritt es in einem Artikel in eigener Sache als nach wie vor tragfähigste Art, den Onlinebetrieb einer Zeitung wirtschaftlich zu gewährleisten.
Lüllmann stützt sich dabei auf zwei aktuelle Studien aus den USA, die beide zunächst zu dem naheliegenden Schluss kommen, dass man sich als Leser dorthin wendet, wo die eigenen Meinungen/Vorurteile wahrscheinlich unterstützt werden. Geschieht das aber nicht, steigt - bei frei zugänglichen Texten - trotzdem die Verweildauer, je länger und dichter an Informationen der Artikel ist. Zwangsläufig muss diese längere Verweildauer nicht bedeuten, dass sich der Leser von Gegenargumenten überzeugen lässt, wohl aber zeugt sie vom Interesse und der Bereitschaft, sich mit solchen auseinanderzusetzen. Nun hat eine weitere Untersuchung (der University of Tennessee, wen´s interessiert) gezeigt, dass Menschen tendenziell solche Inhalte im Netz bezahlen, die ihrem Weltbild entsprechen und Texte mit gegenläufige Argumenten ignorieren. Daraus leiten die Studien-Autoren wie auch Lüllmann die Gefahr von Informationsblasen und in weiterer Folge sozialer Polarisierung ab. Paywalls unterminierten also mittelbar die Bereitschaft, sich mit Gegenargumenten auseinanderzusetzen, und damit auch die Meinungsvielfalt.

Man könnte natürlich kleinlich einwenden, dass solche Tendenzen Medien mit Schlagseite voraussetzen, dass man klar vorausberechnen kann, was ein bestimmtes Medium zu einem bestimmten Thema schreiben wird. Große, liberale Zeitungen wie die New York Times sind dagegen kaum mit irgendwelchen eindimensionalen Prädispositionen in Kongruenz zu bringen.

Wie auch immer, ein Bewusstsein für das potentielle Problem ist auf jeden Fall nicht falsch. Und ein gewichtiges Versprechen legt Aline Lüllmann für die taz auch noch ab: „Für uns ist der solidarische Zugang kein Übergangsmodell, um die Reichweite zu erhöhen und dann die Le­se­r:in­nen in ein Paid-Content-Modell zu tricksen.“

 



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