Ein Nachruf, der keiner sein will und trotzdem der beste von allen ist Screenshot, Philipp Hutter
25 Aug
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Ein Nachruf, der keiner sein will und trotzdem der beste von allen ist

Robert Rotifer schreibt ein paar grundsätzliche Wahrheiten zum Tod von Charlie Watts auf der FM4-Site.

Es ist bisweilen ganz gut, elementare Ereignisse - auch schlimmer Art - sickern zu lassen. Zum Tod von Stones-Schlagzeuger Charlie Watts sind eh schon so viele „schlaue“ Sachen geäußert/gepostet/geschrieben worden, dass es nicht auch noch unseres Senfs dazu bedarf. Übrigens scheint es dabei auch den beiden letzten in der Band verbliebenen Ur-Stones Mick Jagger und Keith Richards ein bisserl die Rede verschlagen zu haben, denn die posteten anstelle irgendeines „So sad“-Scheiß auf Twitter nur Fotos. Irgendwie ist ihnen das hoch anzurechnen.

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Es tut hier ansonsten nicht not, auf die ganzen Trauerbekundungen in den Medien - ob ”sozial" oder herkömmlich - besonders einzugehen. Nur zwei Ausnahmen sollen hier zur Sprache kommen: Andreas Rauschal leitet in der Wiener Zeitung seinen Nachruf mit unnachahmlicher anatomischer Sachkenntnis ein: „Den Arsch von Mick Jagger hat keiner so oft gesehen wie er. Allerdings ging Charlie Watts diese umgekehrte Pole Position selbst eher am Allerwertesten vorbei.“
Und Robert Rotifer schickt in seinem Blog auf der Webseite von FM4 ein paar Einsichten über Charlie Watts in den digitalen Kosmos.

Diese FM4-Leute! Ganz ähnlich wie der verstorbene Martin Blumenau ist Rotifer, Musiker, Moderator und Förderer der florierenden österreichischen Pop-Szene, ein potentiell und meist auch real sensationeller Schreiber. Davon zeugen u.a. Geschichten für den Rolling Stone, die Berliner Zeitung, die Wiener Zeitung oder profil. Davon zeugt sein grandioser Prolog zum „Ernst Molden Liederbuch“, der schon per se das halbe Buch wert ist; davon zeugt sein schier überirdischer, weil allen Faktoren zwischen menschlicher Inferioriorität und künstlerischem Genie Rechnung tragendem Nachruf auf den Produzenten Phil Spector, davon zeugt sein Text über Charlie Watts - „nur ein paar Gedanken“, die um Himmels willen nicht den Rang eines Nachrufs reklamieren; schnell, bevor alle anderen aufwachten, im Morgengrauen bei einem Kurzurlaub bei Freunden in Wales niedergeschrieben.

rrEs sind sechs Thesen, die Robert Rotifer dabei in den Raum stellt und - wie das kluge Thesen so an sich haben - bisher gängige entweder falsifizieren oder relativieren: Wie Ahnungslose, die den Toten jetzt hochleben lassen, Watts einst als schlechten Schlagzeuger abqualifiziert haben. Wie Watts sich den Backbeat erschloss. Dass bei den Stones der Sex weniger aus Jaggers Hüfte denn aus Charlies Snare kam. Dass Watts stets aus der Zeit gefallen wirkte: Seine distinguierte Kleidung und dass er seiner Frau (dem Vernehmen nach) stets treu geblieben ist, wirkt erst heute cool. Dass er über das Wetter in Massachusetts bestens Bescheid wusste.
Und ja, die berühmteste und meistzitierte Geschichte: Wie er Mick Jagger mit einem Schwinger die Sterne sehen ließ, weil dieser ihn „meinen Schlagzeuger“ genannt hatte.
„Ist eine Anekdote, die die Leute gerne lesen, weil sie genießen, dass der arrogante Jagger darin auf seinen Platz verwiesen wird. Und weil sie den Eindruck bestätigt, dass hinter der Fassade von Charlie Watts’ Zurückhaltung in Wahrheit ein richtiger Kerl steckte, der sich notfalls mit der Faust auszudrücken wusste“, kommentiert Rotifer sehr zutreffend. In Wahrheit reflektiert sie eine der eher raren angespannten Phasen im Leben des Schlagzeugers, der Anfang der 80er Jahre ziemlich schwer dem Alkohol und sogar Heroin verfallen war.
Für Ihre voyeuristischen Bedürfnisse: Wir kennen eine detailliertere Version dieser Geschichte, die irgendwann Ende 1989 im MusikExpress zu lesen gewesen war: Demzufolge nannte Jagger Watts „my little drummer boy“. Daraufhin soll Watts, noch ohne körperliche Gewaltanwendung, Jagger angeknurrt haben: „Nenn mich nie wieder ,my little drummer boy’!“. Jagger angeblich: „Was anderes bist du doch nicht: ein little drummer boy, der für mich arbeitet“. Es folgt der Schwinger.
Unwahrscheinlich, dass Sir Michael Philip noch einmal ein despektierliches Wort an Charlie gerichtet hat.

 



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