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Lizenz zum Weiter-so Screenshot Der Spiegel
29 Jul
geschrieben von 

Lizenz zum Weiter-so

Noch einmal zur Katastrophenberichterstattung deutscher Rundfunk- und Fernsehanstalten und ein sehr interessanter Lokalaugenschein des Magazins Der Spiegel in Hallein.

Eine RTL-Reporterin beschmiert sich des Effekts wegen mit Schlamm und entschuldigt sich anschließend, sie hätte sich geschämt, mit sauberem Oberteil neben den Hilfskräften zu stehen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk-Riese ARD und seine mächtigen regionalen Statthalter WDR und SWR werden wegen fehlender Warnungen und unzureichender Berichterstattung heftig kritisiert: Viel Unmut hat die Berichterstattung über die Unwetter und Hochwasserkatastrophen in vielen Teilen Deutschlands, insbesondere Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, ausgelöst. Wie berichtet, warf der Chefredakteur des deutschen Branchendiensts DWDL dem WDR sogar unterlassene Hilfsleistung vor.

Die Heftigkeit der Debatte ist verständlich: Die Katastrophe ist die schlimmste seit Menschengedenken; über 180 Menschen haben die Überflutungen das Leben gekostet, und noch viel, viel mehr ihrer Behausungen beraubt. Der wirtschaftliche Schaden ist, wie immer in solchen Fällen, noch gar nicht abzusehen, aber er geht jedenfalls in die Milliarden.
Wie hoch der Schaden an Image und Ansehen für die Medien ist, ist erst recht nicht in Zahlen zu messen - auch wenn er natürlich wirtschaftliche Konsequenzen in Form von Werbe-Stornos nach sich ziehen kann. Aber das ist vergleichsweise eine Bagatelle. Viel entscheidender ist, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen und Radio in ihrer Kernaufgabe versagt oder mindestens Defizite gezeigt haben: Die Bevölkerung mit wichtiger Information zu versorgen - diesfalls lebenswichtiger.
Die schlammige RTL-Reporterin? Privatfernsehen* halt.

Andere Medien reagierten wendiger, schneller, flexibler und weitblickender. Der Spiegel wagte unlängst sogar einen Blick über die Grenze und unternahm einen Lokalaugenschein in Hallein, dem am schlimmsten von Unwettern betroffenem Gebiet Österreichs. Dort ist die Katastrophe zum Politikum geworden, nachdem der Bürgermeister von Hallein in einem Interview behauptet hatte, der Naturschutzbund Salzburg habe wegen der Blockade von Hochwasserschutzmaßnahmen (Beton, Beton und noch einmal Beton) die Verwüstungen auf dem Gewissen. „Noch bevor der letzte Keller ausgepumpt war“, wie es im Spiegel-Bericht heißt, nahm Umweltministerin Elisabeth Köstinger den Ball auf und verbreitete den Unsinn im ganzen Land. Seither lautet der ÖVP-Standpunkt zum Thema: Umweltschützer verursachen Umweltkatastrophen (und nicht etwa die Bauwirtschaft, die in Österreich extrem fortgeschrittene Bodenversiegelung usw.)

Für den Spiegel könnte dieser Spin Vorbildcharakter für Deutschland haben und Österreich auf eine eher nicht wünschenswerte Weise zum Trendsetter machen: „Die österreichische Debatte zeigt auch, was sich verändert hat in der Politik. Anstatt wie früher grundsätzlich gegen Klima- und Umweltschutz zu sein, nutzen ihn die Konservativen jetzt bisweilen, um damit Einwände von Umweltschützern infrage zu stellen“, konstatiert der Bericht. Das österreichische Beispiel, wie neuerdings die betonfreundliche Politik den Umweltschutz in Geiselhaft nimmt, um der Bauwirtschaft erst recht weitere Aufträge zu verschaffen, könne auch in Deutschland Schule machen, meint, nein, fürchtet Autor Jan Petter. „Es wäre die Lizenz zum Weiter-so nach der Katastrophe.“

*Als fast kuriose Fußnote muss hier angemerkt werden, dass RTL, nicht zuletzt dank des langjährigen Ressort-Direktors Hans Mahr, traditionell eine gute Information hat.

 



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