Nicht alle können das Gute an der guten Nachricht erkennen Screenshot heute.at
26 Apr
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Nicht alle können das Gute an der guten Nachricht erkennen

Die heutigen Newsletter zeigen Skepsis ob der Frohbotschaft: Öffnung ab 19. Mai. Ob das gut geht und mit welchen Folgen?

„Eine Stimmung ist das, fast wie bei der Aufhebung der Prohibition damals. Ein ganzes Land im Freudentaumel, überall Umarmungen, via Zoom halt. Hoteliers räumen die Besenkammern frei, weil die Zimmer unter der Buchungslast knapp werden. Die Gastwirte überlegen, die Tische zu stapeln und die ersten Schnitzel eventuell nicht zu verkaufen, sondern zu versteigern.“ So beginnt die heutige „Kopfnuss“ von Heute-Chefredakteur Christian Nusser, und malt aus, was danach kommen wird: „Ich freue mich schon auf die vielen Instagram-Postings, auf denen Menschen zu sehen sind, die ihren Kopf zwischen Handycam und Teller pressen konnten. Auf die glücklichen Gesichter der Society, die nun nicht mehr nach Dubai fliegen muss, um Spaß zu haben, sondern die sich jetzt in angesagten City-Lokalen wegsprengen kann. Die wirklichen und die unwirklichen Größen der Gesellschaft werden beiläufig erwähnen, wie wenig Mühe es sie gekostet hat, einen Tisch im hippen Lokal zu ergattern, man wisse wie schwierig das sei, aber der Wirt sei sich ihrer Prominenz durchaus bewusst und zudem ein guter Freund, auch wenn er noch nichts davon weiß.“

Am 19. Mai öffnet, wenn man das so salopp sagen darf, das Land wieder. Das heißt, Gastronomie, Hotellerie, Thermen können wieder ihren Geschäften nachgehen bzw. genutzt werden - ob und unter welchen Auflagen, wird sich erst weisen. Das politische Kalkül dahinter ist nicht schwer zu begreifen: Kanzler Sebastian Kurz möchte sich als Lichtgestalt, die den Menschen da draußen oder meist eher drinnen Glück und Freiheit bringt, inszenieren. Geht das nicht gut, sind die Leute schuld, weil sie sich nicht an die Regeln gehalten haben und Kurz schon immer gewusst hat, dass die Öffnung der falsche Schritt gewesen sei. Müssen wir, Überraschung, in den gefühlt 23. Lockdown, überlässt der Bund die Verantwortung dafür den Landeshauptleuten.

Während Nusser, der „Gastronomieministerin“ Elisabeth Köstinger „ehrfürchtig“ als „Muttergottes der Öffnung“ tituliert, skeptische Ungläubigkeit an das Funktionieren des Regierungsplans bekundet, vollzieht Falter-Herausgeber Armin Thurnher in seiner „Seuchenkolumne“ wieder einmal eine Vollabrechnung mit dem „‚Seuchenkanzler“. So weit, so durchaus üblich. Selten brillant allerdings der Schliff der Argumentation. „Wieviele Menschen vermögen es noch, den Charakter öffentlicher Personen zu beurteilen?“ fragt Thurnher, rhetorisch, versteht sich. „Wir können allenfalls über die Machart der Charaktermasken noch reden. Ihre Art, sich zu präsentieren. Die ist im Fall Kurz bewundernswert konstant und erstaunlich wenig angekränkelt vom Zweifel an der eigenen Show. Hier zeigt sich rosig-zähes Sitzfleisch von oben bis unten. Die Infektion mit dem eigenen Schmäh, wie weiland Gerd Bacher das zu nennen pflegte (er sagte ,Selbstinfektion’) hat bei Sebastian Kurz zu einem Überschuss an stilistischen, sprachlichen und menschlich-rücksichtsvollen Antikörperchen geführt. Er ist der ideale Seuchenkanzler, denn er ist gegen Kritik, Selbstkritik und alle Varianten davon total immun.“
Ausgangspunkt von Thurnhers Betrachtungen ist übrigens ein Interview, das Kurz dem Kurier - und dessen TV-Sender SchauTV sowie für den zeitungseigenen Podcast gewährte. Die Fragen stellen und Stichworte geben durfte Richard Grasl.
Aber selbst der Kurier, den bekanntermaßen keine unüberbrückbare Distanz vom Kanzler trennt, bekundet heute im Newsletter Zweifel an der Öffnung und ihren Vorboten - in Wien vor allem die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts: „Ob die Freude von langer Dauer sein wird, ist ungewiss: In Westösterreich steigt die Zahl der Infektionen derzeit wieder an, erste Regionen in Vorarlberg - eigentlich der Aufsperr-Vorreiter - verschärfen die Maßnahmen bereits wieder.“

Mit nichts von alledem zu tun hat die heutige profil-Morgenpost. Sie fokussiert indes ein um nichts weniger ernstes und übles Thema. Nämlich dass in Österreich als einzigem EU-Land mehr Frauen als Männer Gewaltverbrechen zum Opfer fallen.

 



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