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28 Sep
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Leben nach einer schweren Covid-Infektion

Ein 62jähriger Tagesspiegel-Redakteur erzählt vom Verlauf seiner schweren Erkrankung und dass er seither wie verrückt nach Eis ist.

„Ein zweites Mal diese Tortur – das würde ich nicht schaffen“. So ist der Erfahrungsbericht von Jochim Huber übertitelt. In Interviewform gehalten, erscheint er naheliegenderweise im Berliner Tagesspiegel, wo der 62jährige Leiter des Ressorts Medien ist. 

Im März dieses Jahres bekam Huber Fieber und litt unter Luftmangel. Ein erster Corona-Test ergab kein eideutiges Ergebnis. Sanitäter, die er anrief, wiegelten ab und rieten ihm, zu Hause zu bleiben. Schließlich suchte Huber von sich aus ein Krankenhaus auf. In dieser Phase der Ungewissheit sei, meint er rückblickend, zu viel Zeit vergangen.

Fünf Wochen war Huber daraufhin im künstlichen Koma. „Einmal wurde meiner Frau gesagt, ich würde den nächsten Tag vielleicht nicht überstehen. Da ist sie erstmal selber in Ohnmacht gefallen.“
Er erwachte als Überlebender, aber mit starken Nervenschmerzen in den Beinen. Lungen-, Nieren- und Herzfunktionen - letztere stabilisiert durch zwei Stents - sind dagegen wieder normal. Er hatte 25 Kilo verloren: Grundsätzlich nicht zu seinem Nachteil, wie er gesteht; allerdings war neben Fett auch Muskelmasse auf der Strecke geblieben. Schon am zweiten Tag wurde er zu „Wiederaufbauarbeiten“ genötigt. „Der Körper erinnert sich an nichts von allein. Was du nicht leistest, leistet er nicht.“
Die oft zitierten Geschmacksaussetzer der Covid-Infizierten hatte auch er. Der Geschmackssinn ist indes zurückgekommen - wenn auch mit veränderten Präferenzen: „Ich war früher kein Eisesser. Nach Corona ist vor mir keine Eisbude sicher: Zitrone und Haselnuss!“

In der Reha traf Huber auf Leidensgenossen: „Der erste Abend mit der Coronagruppe war einer mit Blut, Schweiß und Tränen. Wann hat es wen wie erwischt, was sind die Folgen? Man hält sich immer für den Schwerstbetroffenen. Dort habe ich gemerkt, es gibt Leute, die sind viel tiefer angeschlagen, können den Sinn des Lebens nicht mehr erkennen. Nicht wenige leiden unter einem Verlust des Kurzzeitgedächtnisses, haben Depressionen. Auch ich bin durch tiefe Täler gegangen, habe mich mal ins Eck gesetzt und nix getan. Aber durch Sitzen wird nichts besser. Das gilt es, sich klarzumachen: Wir haben überlebt, gebt nicht auf! Wenn es ein Mantra gibt, ist es dieses: Wir sind stärker als das Virus.“
Warum es ihn schwer erwischt hat, kann er nur mutmaßen: „Ich habe Bluthochdruck und Diabetes Mellitus Typ 2. Das sind Vorerkrankungen, ob sie dazu beigetragen haben, kann keiner mit Gewissheit sagen. Dieses Virus ist sehr erratisch. Das wahrscheinlich Schrecklichste, was ich gelernt habe, ist, wie es sich anfühlt, keine Luft mehr zu bekommen.“
Dass Hubers Sympathien für Covidioten eher limitiert sind, überrascht aus seiner Geschichte heraus eher nicht. „Ich bin natürlich gefangen in meiner Situation. Aber wie jemand sagen kann, das Virus ist eine Erfindung von Bill Gates, wie man die eigene Position so überhöhen kann, dass man ärztliche Ratschläge missachtet, keine Maske trägt, keinen Abstand hält – das ist mir unverständlich und ich nehme das diesen Leuten persönlich übel. Die demonstrieren für Liebe und Freiheit. Liebe? Das ist Egoismus. Was an Freiheit verliert der Mensch, wenn er sich ein Stück Tuch ins Gesicht hängt?“