Es sei, so sagte Gesprächsleiter Helmut Spudich, Journalist, Mediengründer und Vizepräsident des Presseclubs Concordia, die Veranstaltung mit den meisten Anmeldungen seit der Wiederaufnahme von Präsenzveranstaltungen. Und zeige auch den Stellenwert des ORF im Denken der medieninteressierten Öffentlichkeit. Der Titel der gestrigen Veranstaltung im Presseclub Concordia lautete nämlich: „Der ORF nach dem VfGH-Erkenntnis: Wie ist mehr Unabhängigkeit möglich?"
Dieser Titel suggeriert schon in sich Skepsis.
Das besagte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom Sommer dieses Jahres hatte ja festgestellt, dass die Regierung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk einen übergebührlich dominanten Einfluss auf die Besetzung wichtiger Posten, allen voran des Generaldirektors, habe und ausübe. Der Grund: Die wichtigsten Gremien des Unternehmens, der Publikumsrat und der noch viel mächtigere Stiftungsrat, sind zum Saufüttern mit Erfüllungsgehilfen der Regierung besetzt.
Und diesem Zustand, so sagt das Erkenntnis des VfGH, sei bis Ende März 2025 ein Ende zu bereiten. Bleibt „nur" noch zu klären, wie. Davor freilich steht die Grundsatzfrage: ob überhaupt ein ernsthafter Versuch unternommen wird, den ORF gegen Begehrlichkeiten von Parteien abzuschirmen.
Genau das stand also gestern Abend - der Videostream der Veranstaltung ist unten zu sehen - zur Diskussion. Und niemand auf dem Podium - Anna-Maria Wallner, Leiterin Debattenressort und Audio-Produkte in der Presse, die per Videowall zugeschaltete Journalistin, Unternehmensgründerin und von den NEOS berufene ORF-Stiftungsrätin Anita Zielina, Dieter Bornemann, mutiger Vorsitzender des ORF-Redaktionsrates, Hans Peter Lehofer, Rundfunkrechtsexperte, Hon.-Prof. an der WU Wien und Senatspräsident des Verwaltungsgerichtshofes sowie Peter Plaikner, rühriger Politikanalyst, Medienberater und Publizist - schien sich ernsthaft und realistisch einen vom Würgegriff der Politik befreiten ORF vorstellen konnte.
Zwangsläufig bekam dabei die Medienpolitik - oder das, was sich als solche ausgibt - ihr Fett ab. Die Kritik an ihr erstreckte sich von einem prägnanten „Totalversagen" bei Plaikner bis zu einer präzise-detaillierten Fehleranalyse Zielinas: „Österreichs Medien- und damit auch ORF-Politik ist erstens primär Klientelpoltik; zweitens primär reaktiv und nicht kreativ, geht drittens oft den Weg des geringsten Widerstands und ist viertens Konkordanzpolitik."
Dazu kommt, dass die Gremien, unternehmerisch gedacht, a priori ein eigentümliches Bild abgeben: „Für einen Aufsichtsrat ist der Stiftungsrat organisationstheoretisch zu groß und aufgebläht, während der Publikumsrat als Hörer- und Sehervertretung zu wenig mächtig und eigentlich fast zu klein ist", erläuterte Lehofer, während Bornemann zur Definition des Stiftungsrats lakonisch Wikipedia zitierte: „Der Stiftungsrat besteht aus 35 Mitgliedern und sichert den Einfluss der politischen Parteien im ORF."
Dass sich die Politik vom Erkenntnis des VGH „überrascht", auch etwas ang´rührt zeigt und sich generell geriert, als sie sie mächtig überfahren worden, kommentierte der Redaktionsvertreter des ORF so: „Es ist ja nicht so, dass das VfGH-Urteil vom Himmel gefallen wäre, das liegt seit vielen Jahren, fast möchte ich sagen Jahrzehnten am Tablett. Es ist vielmehr so, dass nie wirklich eine Partei Interesse an Änderungen hat, denn wenn sie in der Regierung sitzt, geht´s ihr gut, und die anderen Parteien hoffen irgendwann in die Regierung zu kommen, damit es Ihnen auch gut geht."
Der Redaktion „ist jedes Aufsichtsorgan gleich unrecht - wir machen unseren Job, und das, glaube ich ganz gut. Auch wenn die eine oder andere Partei, vor allem die FPÖ, seit Jahren daran arbeitet, das Image des ORF wirklich zu beschädigen. Aber machen wir ein Gedankenexperiment: Was wären die wichtigsten Medien in Österreich, wenn es den ORF nicht mehr gäbe? Das wären die Kronen Zeitung, Heute, Österreich, Servus TV. Schauen wir uns die Eigentümer an: Das sind drei sehr reiche Familien. Die dann über die Meinungsvielfalt in Österreich bestimmen. Und darum glaube ich, dass es extrem wichtig ist, dass wir den ORF haben, weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk für alle da ist."