Der Sport hat keine Moral Jaschke
19 Feb
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Der Sport hat keine Moral

Zweieinhalb Jahre nach ihrem Outing als Missbrauchsopfer zog Ex-ÖSV-Läuferin Nicola Werdenigg im Presseclub Concordia im Gespräch mit dem Sportjournalisten Johann Skocek ein Resümee aus den Reaktionen von damals und analysiert die Strukturen im Sport.

Es war ein Tabubruch, als im Herbst 2017 die ehemalige Skirennläuferin Nicola Werdenigg (früher Spiess) bekanntgab, als 16jährige von einem Mann im Österreichischen Skiverband (ÖSV) vergewaltigt worden zu sein. Dieses „Outing“ verlief zeitlich synchron mit dem Hochschwappen der #MeToo-Bewegung. Mit dieser bestand indessen kein unmittelbarer kausaler Zusammenhang. Anlass war vielmehr der Fall eines Volleyball-Trainers, der über 50 minderjährige Mädchen missbraucht hatte. Die sehr lasche mediale Reaktion auf die Verbrechen veranlasste Werdenigg, sich mit ihrem eigenen Fall via Standard an die Öffentlichkeit zu wenden. Das war im Sommer 2017; auf Anraten von Standard-Redakteur Philip Bauer wartete Werdenigg wegen der Inkompatibilität der heißen Jahreszeit mit dem Skisport bis Herbst zu. Dann kam auch #MeToo als unerwarteter Verbündeter. Zusätzliche Brisanz verlieh der Geschichte die Reaktion des ÖSV und insbesondere von dessen Präsidenten Peter Schröcksnadel, der Werdenigg in der Tiroler Tageszeitung allen Ernstes mit einer Klage drohte. Auch von anderen Seiten bekam Werdenigg Resentiments zu spüren: Im Zillertal wurde sie in einem Lokal nicht bedient. Nachdem ihre Mutter gestorben war, kondolierte bei der Trauerfeier der von ÖSV entsandte Pressechef nur ihrem Bruder, nicht aber ihr, die direkt daneben stand. Die Krone, Sponsor des ÖSV, titelte: „Haben Sie gelogen, Frau Werdenigg?“
All das konnte nicht verhindern, dass weitere Missbrauchsopfer an die Öffentlichkeit traten oder sich bei Werdenigg meldeten. Diese gründete die Initiative #WeTogether und wurde zu einer Symbolfigur für den Widerstand gegen den Machtmissbrauch im Sport, den sie patriarchalen Strukturen geschuldet sieht. „Ich habe einen Schneeball geworfen, die Reaktion des ÖSV hat eine Lawine daraus gemacht“, rekapituliert Werdenigg, die sich unerschrocken gibt: „Ich fürchte weder Tod noch Teufel noch den ÖSV“.

Dienstag stellte sich Werdenigg im Presseclub Concordia dem Dialog mit dem ehemaligen Presse- und Standard-Sportredakteur und heutigen freien Sportjournalisten Johann Skocek, um eine Art Resümee der Causa zu ziehen und die Ethik des Sports und des ihn beschreibenden Journalismus zu erörtern. Skocek hat zu jenem Team gehört, das für die Recherche-Plattform Dossier nachrecherchiert hat, wie der Skiheld der Nation, Toni Sailer, nach der Vergewaltigung einer polnischen Prostituierten (auch aus politischen Gründen) von einer Anklage verschont blieb. Das Recherche-Team war dann vom damaligen Sportminister Heinz-Christian Strache, Tirols Landeshauptmann Günther Platter und sogenannten Ski-Legenden wie Karl Schranz oder Benjamin Raich heftig beschimpft worden.
In der Moderation von Alexander Warzilek, dem Geschäftsführer das Presserats, wurde der Diskurs zu einer grundsätzlichen Infragestellung des romantischen Trugbilds, das von Sport verkauft wird. „Wenn wir über Sport reden, reden wir über ein hochkapitalisiertes Produkt, das auf vielen Kanälen verkauft, verbogen und manipuliert wird“, sagte Scocek, und stellte eine gleichermaßen berechtigte wie brisante Anregung in den Raum: „Man müsste fragen, warum im Sport so oft Gewalt gegen Abhängige angewendet wird. Sind das Betriebsunfälle oder ist das systemimmanent?“.
Sicher ist nur eines: Der Sport ist ein System, das Abhängigkeit fördert. Schließlich werden schon Kleinkinder in einem in sich geschlossenen Topos zu (potentiellen) Spitzenkräften heran- und hochgezüchtet.
„Je weiter man aufsteigt, desto mehr verliert man den Kontakt zu seiner Familie und den Freunden, und desto sozial abhängiger wird man“, erklärte Werdenigg. „Man lebt nur für den Sport; das Leben danach kann an sich gar nicht vorstellen. Untersuchungen in den USA haben ergeben, dass eine hohe Anzahl Sportlern bereit wäre, für Olympia-Gold zu dopen - auch bei hoher Wahrscheinlichkeit, dass sie dann mit Anfang 30 sterben.“
Ja, auch Doping kam an diesem Abend zur Sprache, der undurchdringliche Komplex aus Betrug, Erfolgsdruck und nicht zuletzt medialer und öffentlicher Sensationsgier, die immer spektakulärere Leistungen einfordert. Man hört zum Beispiel von Sportlern, die ohne Doping keine Sponsoren oder Förderungen aufstellen können. Noch öfter hört man, dass in bestimmten Sportarten ohne Doping garnix geht. Offiziell freigeben kann man es aber auch nicht, weil die ganze wirtschaftliche Profitabilität des Sports auf der Illusion von Sauberkeit beruht - was tun also? Man appliziert ein paar kosmetische Korrekturen, ergreift ein paar Maßnahmen und überführt hin und wieder ein paar Sünder. „Man säubert die Auslage, nicht aber das Geschäft selber“, so Skocek, der an anderer Stelle an eine grundsätzliche Wahrheit erinnerte: „Der Sport selbst hat keine Moral.“ Die müssten die haben, die damit zu tun haben. Konjunktiv.