VfGH kippt große Teile des türkis-blauen Sicherheitspakets VfGH/Doris Kucera
11 Dez
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VfGH kippt große Teile des türkis-blauen Sicherheitspakets

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat mehrere zentrale Elemente des 2018 unter der türkis-blauen Bundesregierung verabschiedeten "Sicherheitspakets" als verfassungswidrig aufgehoben.

Betroffen ist der Bundestrojaner sowie die automatische Auswertung von Video- und Section-Control-Daten über Autofahrer, gab Vizepräsident Christoph Grabenwarter am Mittwoch bekannt.
Nicht nur die verdeckte Überwachung verschlüsselter Nachrichten durch Installation eines Programms auf einem Computersystem ist gemäß dem Spruch nicht erlaubt. Auch die Ermächtigung, zur Installation dieses Trojaners in Räume einzudringen, Behältnisse zu durchsuchen und spezifische Sicherheitsvorkehrungen zu überwinden, wurde aufgehoben.
Die vertrauliche Nutzung von Computersystemen und digitalen Nachrichtendiensten sei „wesentlicher Bestandteil des Rechts auf Achtung des Privatlebens“ gemäß der europäischen Menschenrechtskonvention, argumentierten die Höchstrichter. Hier einzugreifen wäre „nur in äußerst engen Grenzen zum Schutz entsprechend gewichtiger Rechtsgüter“ zulässig.
Dem Bundestrojaner komme im Hinblick auf die Art und den Umfang der Überwachung „eine besondere - den anderen Überwachungsmaßnahmen der Strafprozessordnung nicht gleichzuhaltende - Intensität zu“. Wer hier Einblick ins Handy oder den Computer bekommt, kann Rückschlüsse „auf die persönlichen Vorlieben, Neigungen, Orientierung und Gesinnung sowie Lebensführung des Nutzers“ ziehen, kritisiert der VfGH.
Er sieht einen Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention, weil nicht gewährleistet sei, dass die Überwachungsmaßnahme nur dann erfolge, wenn sie zur Verfolgung und Aufklärung von hinreichend schwerwiegenden Straftaten diene. Auch sei der Schutz der Privatsphäre nicht hinreichend sichergestellt, weil - verkürzt gesprochen - der Schutz durch den Rechtsschutzbeauftragten der Justiz zahnlos sei.
Zum angefochtenen Eindringen zwecks Installation des Bundestrojaners hält der VfGH fest, dass hier ein Verstoß gegen das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht auf Unverletzlichkeit des Hausrechts vorliegt. Vorgesehen waren nämlich Hausdurchsuchungen, ohne dass der Betroffene davon Kenntnis erlangt. Dies widerspricht aber dem Hausrechtsgesetz 1862, wonach Betroffene innerhalb der nächsten 24 Stunden zu informieren sind - womit die heimliche Installation der Schnüffelsoftware aber sinnlos wäre.
Bei der verdeckten Erfassung und Speicherung von Daten zur Identifizierung von Fahrzeugen und Fahrzeuglenkern sieht der VfGH einen gravierenden und unverhältnismäßigen Eingriff in die Geheimhaltungsinteressen gemäß Datenschutzgesetz sowie das Menschenrecht auf Achtung des Privatlebens; dies auch, weil dies schon bei der „leichtesten Vermögenskriminalität“ schlagend würde.
Bei der Section Control verwies der VfGH auf seine eigene Entscheidung zur erforderlichen strengen Zweckbindung der Daten aus dem Jahr 2007. Auch hier sah er Eingriffe in den Datenschutz und das Privatleben. „Von der Datenübermittlung sind Personen betroffen, unabhängig davon, ob diese ein Verhalten gesetzt haben, das Anlass zur Übermittlung der personenbezogenen Daten an die Sicherheitsbehörden gegeben hat“, so die Kritik des VfGH.
SPÖ und NEOS, die die Überwachungsmaßnahmen angefochten hatten, bejubelten den Spruch der Höchstrichter. „Das ist ein großer Erfolg für die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger in Österreich und schützt unsere freie Gesellschaft“, meinte SP-Chefin Pamela Rendi-Wagner. NEOS-Vizeklubchef Niki Scherak sprach von einem „fulminanten Sieg für die Freiheit“. Ex-FPÖ-Innenminister Herbert Kickl, der das Paket betrieben hatte, sprach hingegen von einem „Feiertag für die organisierte Großkriminalität und den terroristischen Extremismus“ und einem „schlechten Tag für die Sicherheit der Österreicher“.

apa