Diese Seite drucken
Novi Sad mit Sprachspieler Christian Schwetz (vorne sitzend mit Buch in der Hand, dem eigenen) Novi Sad mit Sprachspieler Christian Schwetz (vorne sitzend mit Buch in der Hand, dem eigenen) novisad.at
25 Jul
geschrieben von 

Eine kleine Sonntagabendgeschichte

Gut aufgelegt und mit Galgenhumor präsentieren sich Novi Sad, unbedankte Wegbereiter des österreichischen Indie-Pop, auf ihrem 11. Album „Ein wunderschönes Tier“ Texte des Autors Christian Schwetz.

Auch die österreichische Popmusik hat ihre unbedankten Helden. Shy aus Linz etwa haben einen intelligenten deutschsprachigen Indie-Rock auf Schiene gebracht, ohne dafür auch nur annähernd so viel Anerkennung und Breitenwirkung erfahren zu haben wie später Ja, Panik, Kreisky, Garish oder gar Wanda, die alle mittelbar, und sei´s unbewusst, in ihrer Schuld stehen. Texta - auch aus Linz - hätten als Pioniere eines eloquenten HipHop made in A genauso ein Mandat auf Erfolg haben müssen wie ihre Nachfahren Yung Hurn oder RAF Camora, und Chuzpe hatten trotz tonnenschwerer Wegweiser-Meriten - sowas wie New Wave hätte es ohne sie in Österreich vermutlich gar nie gegeben - einen schwierigen Stand wegen ihrer „problematischen“ Frontmänner, dem „Postler“ Robert Wolf und dem drogenkranken Christian Brandl (der sich dann auch umbrachte).
Novi Sad stehen auf gewisse Weise stellvertretend für die opulente Stilvielfalt, die österreichischen Pop seit jeher charakterisiert hat: von den Kabarett-Hits der Bronner/Qualtinger/Kreisler über die Milieu-Lieder der Ambros/Danzer/Maron, ehrgeizigen Großprojekten wie bei den Schmetterlingen, einen Falco als seinen eigenen Planeten, die wegweisenden Volksmusik-Adaptionen von Attwenger, den radikalen Individualismus einer Soap & Skin bis zur morbid angewehten Dekadenz von Bands wie Vienna Rest in Peace oder Das Trojanische Pferd.
Novi Sad können Vieles: Verstehen sich auf zahlreiche Folk-Stile und Volksmusiken, Electronica, Experimente und Collagen, Rock, und gerne auch einmal anheimelnden Melodie-Pop. Dementsprechend selbstbewusst beziehen sie sich auf große Vorbilder - Gitarrist und Haupt-Songschreiber Klaus Schuch firmiert künstlerisch nach John Cales berühmtem Album als „Paris 1919“; und mühelos referenzieren sie solche Riesen-Dinger wie Van Morrisons Über-Klassiker „Astral Weeks“. Ihre Texte, die relativ selten einen unmittelbaren politischen Bezug haben - wiewohl die Band eine prononcierte, deutlich nicht der türkisen Regierungstruppe zugeneigte politische Haltung einnimmt - zeigen Einflüsse von Fantasy-Literatur, graben gerne im mythischen Fundus ferner Länder und Zeiten und werden, passend zu ihrer raum- und zeitgreifenden Universalität, in mehreren Sprachen übermittelt: In der Summe meist auf Englisch, dazu Deutsch, Italienisch, Spanisch, Althochdeutsch und wasnichtsonstnochalles; in einem Fall sogar Wiener Dialekt. Ihrer künstlerischen Reichweite zum Dank ist die Band beliebter Gast bei avantgardenahen Kunst-, Theater- und Literaturprojekten.
Aber trotz ihres guten Namens - viel mehr als Respekt und höfliche Anerkennung hat für die im Kern fünfköpfige Formation nie rausgeschaut. Es half bei alledem auch nichts, sondern war im Gegenteil eher kontraproduktiv, dass Sängerin Evelyn Blumenau, die zweite zentrale Songschreiberin der Band, mit dem - ja, ist so: legendären - Pop-Journalisten und Radiomacher Martin Blumenau geschwisterliche Bande einen: Um sich nicht dem Vorwurf des Protektionismus auszusetzen, unterließ Blumenau just in deren formativen Jahren jegliche Propaganda für die Band. Erst die Beispiele zahlreicher Berufskollegen, die für eigene oder ihrer unmittelbaren Umgebung entstammende Musik-Projekte ungeniert Werbung betrieben, bewogen ihn zu einem Kurswechsel. „Ich bin ein Trottel", rekapitulierte Blumenau in einem „Ö3-Nachtexpress“ sarkastisch seine Skrupel, in familiärer Sache auf den Sendeplan zu treten. Heute bekennt er sich „parteiisch und ausgesprochen voreingenommen" zu Novi Sad, in denen er Kurt Weill und die Romantiker heraushört und „die Kinderurlaube im damaligen Jugoslawien riechen kann“.
Auf den letzten Platten haben sich Novi Sad immer stärker Richtung deutscher Texte entwickelt. „Wunderschönes Tier“, Novi Sad-LP Nr. 11, ist (nach der Mini-LP „super oder normal von 1994) nun das erste abendfüllende komplett in deutsch gehaltene Album der Band. Dass ihre Texte, früher hauptsächlich Blumenaus und Schuchs Hoheitsgebiet, nun zunehmend der Kompetenz des Lyrikers, Prosaisten und gewandten Sprachspielers Christian Schwetz überantwortet werden, hat diese Zuspitzung forciert. Diesfalls ist es, als habe man die kreative Arbeit auf zwei Stränge konzentriert: Während die Musik hier ausschließlich aus der Feder Schuchs stammt, kommen alle 12 Texte von Schwetz. Diese sind auch Teil von dessen gleichnamigem neuen Buch, das bei edition libica erschienen ist.
„Wunderschönes Tier“ macht sich jedenfalls gut im sowieso mehr als respektablen Novi Sad-Werkkatalogs. Auf einer ziemlich ausgewogenen Palette von Stilen, auf der u.a. Elemente des Chansons, Pop - bisweilen auch zügigeren Tempos - und Indie-Folk mit dem charakteristisch akzentuierten Akkordeon herausleuchten, wird der zeittypische Grenzgang zwischen Surrealismus, einem Hauch von Wahnsinn, existenzieller Unsicherheit, Unzufriedenheit und mahnenden Ahnungen verlorener (Er)Lebensgefühle exerziert. Eigentlich unaufgeregt, aber nicht ohne Nachdruck und Eindringlichkeit. Zwischen Existenzialismus und lustvollem Entgleisen. „Die Irrenwärter preschen vor, sie treffen mich, ich bin das Tor“. „Kann sein, dass ich einer bin, der sich traut, kann sein, dass ich der bin, der nur schaut“. „Ich nehm mein Aug´ und werf es auf dich, du ziehst mir zur Strafe die Ohren lang“.
Was - oder wer - die Zeilen „Gott ist ein Kaufmann mit Namen Barbara“ inspiriert hat, wäre allerdings spannend zu erfahren.

Novi Sad
Ein wunderschönes Tier
Schallter/monkey

Christian Schwetz
Ein wunderschönes Tier
edition libica, Wien, 2021

 



Unterstützen Sie BranchenBlatt!

 

Werden Sie Teil des Projektes! BranchenBlatt als Medien-Start-up hat die Krise besonders getroffen. Mit Blut, Schweiß und Geld stehen wir aber hinter dem Projekt. Weil wir der Überzeugung sind, dass der eingefahrene Markt in diesem Bereich dringend frischen Wind benötigt. Und dass unabhängige Berichterstattung ohne Verhaberung der gesamten Branche mehr Glaubwürdigkeit und Gewicht verleiht. 

Unterstützen Sie Ihr neues BranchenBlatt dabei! Wir sind weiterhin bemüht, seriöse und spannende Nachrichten zu liefern. Doch in Zeiten wegfallender Werbeeinnahmen wird die Aufgabe nicht leichter. Sie können für BranchenBlatt in den Ring steigen und mit Ihrer Spende zu einem neuen Mediendiskurs in der Branche beitragen!

 

paypal me 300x140