Elektrisches Sieden und Schleifgeräusche Verlag Anton Pustet, Screenshot
16 Mai
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Elektrisches Sieden und Schleifgeräusche

Einen großen ersten Roman hat der (ehemalige) Aufdeckerjournalist Emil Bobi vorgelegt: In „Abara da Kabar“ geht es um die Dysfunktionalität der Sprache - in gnadenlos präziser, lakonischer, von Klischees und Floskeln unangefochtener Sprache. BranchenBlatt hat mit dem Autor darüber gesprochen. 

 

Es war unlängst in einer internen Besprechung, da ließ Wolfgang Steinmetz, Kreativkopf, Design-Wizzard und irgendwo wohl auch das Hirn unseres Unternehmens, die Bemerkung fallen, er verabscheue das Wort „Femizid“. Die Serie an Frauenmorden, argumentierte er, sei entsetzlich genug - und genau darum sei es nicht notwendig, per künstlich herbeigeführter Assoziation zum Begriff „Genozid“ einen irreführenden Kontext herzustellen.

Nach einem vielleicht zwanzigsekündigem Reflex, diesen Standpunkt als übertrieben und itüpfelreiterisch zu verwerfen, stimmte ich ihm zu. Vorbehaltslos.
Seither kann ich das Wort „Femizid“ nicht mehr hören.
Die Komplexler, die ihre Frauen umbringen, haben alle möglichen kriminellen Instinkte und ein steinzeitlich primitives Menschenbild - was sie aber klar nicht vorhaben, ist, Frauen gezielt auszurotten. Irgendwer in irgendeinem Medium aber hat gefunden, „Femizid“ klinge irgendwie peppiger und schlauer als „Frauenmord“, andere, die das ebenfalls fanden, plapperten es nach und so hat sich diese sprachliche Mißgeburt epidemisch verbreitet.
„Femizid klingt nach einem Unkrautvernichtungsmittel, nach einem Frauenvertilgungsmittel. Der Begriff will jedenfalls seinen Inhalt umetikettieren, um frischer daherzukommen. Vielleicht wie ein erst neulich erkanntes und erstmals wissenschaftlich beschriebenes modernes Krankheitsbild. Und der Begriff impliziert, dass seine Verwender das Phänomen verstehen, das dahintersteckt. Er ist ein verlogener Begriff, der auch noch ungut klingt“, sagt Emil Bobi. Der wie kein Zweiter zur Expertise befugt ist.

Ohne Sprache ist nichts wahr - mit Sprache ist alles unwahr

9783702510152 KopieEmil Bobi hat einen ersten Roman veröffentlicht. Er ist ein in jeder Hinsicht starkes Stück, heißt „Abara Da Kabar“ und Sprache ist sein zentrales Thema. Genauer gesagt: Was Sprache nicht kann. Und das ist praktisch alles, was ihr zugeschrieben wird: Verständigung herzustellen, einen Konsens zu schaffen, Menschen zu verbinden. Denn die Sprache ist, postuliert Bobis Werk, irreparabel defekt. Im Buch ist dieses Verdikt so formuliert: „Die Sprache war kaputt. War schon immer kaputt gewesen. Die Sprache, dieses mit Lautbildern aus modulierter Atemluft operierende Kommunikationssystem, das den Menschen zu einem geistigen Wesen gemacht hat, war defekt wie ein Funkgerät, das zwar blinkte und zischte, aber nichts übermittelte. Man konnte zwar hineinbrüllen so oft und so deutlich man wollte, am Ende war nur ein elektrisches Sieden zu hören, zerfetzt von durchbrechenden Schleifgeräuschen, die man für Botschaften hielt und die man mit weiteren Schleifgeräuschen näher erörtern wollte“.
Der Sprachinfarkt ist, sagt Bobis Roman dezidiert, nicht etwa eine Frage von gutem oder schlechtem Willen - nein, er ist fundamental und systemimmanent. Mit fatalen Folgen: Lügen, Betrug, Manipulation, Gewalt, Kriege sind allesamt der Dysfunktionalität des Systems Sprache geschuldet. Ohne Sprache ist nichts wahr - mit Sprache ist alles unwahr. 

Wieder eine These, die man im ersten Reflex für zumindest übertrieben halten möchte. Vielleicht sollte man anfangen, den ersten Reflexen zu misstrauen.
Er stehe, erzählt Bobi im Gespräch mit BranchenBlatt, vollinhaltlich hinter seinem radikalen Axiom.
„Das meiste ist sowieso common sense in der Linguistik. Sicher ist: die Sprache wirft etwas anderes aus, als wir ihr eingeben. Auch unsere Augen zeigen uns nicht, was um uns ist, sondern ein mehrfach auf den Kopf gestelltes und hin und her gespiegeltes Reizmuster, das durch Organe und Transportverbindungen bis zum Hirn hinauf geschalten wird, wo uns etwas bildlich Dargestelltes erscheint.“

Emil Bobi, 62, ist bekannt als Journalist*. Genauer als Kriegsreporter und investigativer Journalist, der zum Beispiel den sexuellen Missbrauch von Zöglingen an katholischen Erziehungseinrichtungen aufgedeckt, sich an die Spuren von Schleppern geheftet, vor Ort in Afrika und anderen Krisenherden war. Ein ganz harter Hund also - der aus einer Branche kommt, die pauschal nicht wirklich mit einem gewissenhaften Umgang mit dem Werkzeug Sprache konnotiert ist.
Vor ein paar Jahren hat sich Bobi, ziemlich unauffällig eigentlich, aus dem journalistischen Tagesgeschäft zurückgezogen. Pflichtschuldig stellen wir als Medienmagazin die Sportreporter-Frage nach einem Comeback. Ernsthaft kann auf diese Idee ja eigentlich niemand mehr kommen, der seinen Roman aufmerksam gelesen hat - und genau in diesem Sinn antwortet Bobi: „Ja, derzeit bin ich ein Journalist, der Anstalten macht, in die Literatur zu wechseln, weil er seinen ersten Roman geschrieben hat. Nach dem zweiten oder dritten Roman werde ich der ehemalige Journalist sein, der jetzt Schriftsteller ist. Das ist zwar das, was ich eigentlich immer schon wollte, aber dennoch glaube ich, dass man Journalismus, wenn man ihn so vollblütig betrieben hat wie ich, nie mehr loswird, wie ein Arzt, der auch Arzt ist, wenn er nicht praktiziert. Journalismus, ich meine seine Art zu denken und seine Art, an die Dinge heranzugehen, ist eine demokratische Lebensart, die wichtig und sinnvoll ist. Aber Comeback sehe ich keines. In einer Redaktion sitzen und mit aufgestellten Haaren zum Abgabezeitpunkt durchstechen: vielen Dank.“

Physische wie metaphysische Tour de Force

Ein paar Determinanten aus seinem früheren Arbeitsleben hat Bobi in sein Buch mitgenommen: Sein Protagonist - er heißt Ignaz Baumhackl - ist Journalist; seine These vom Defekt der Sprache ist in einem Magazin als Titelgeschichte angedacht, die im Laufe einer Redaktionskonferenz diskutiert und mit den gewerbespezifischen plakativen Zuspitzungen auf Linie zu bringen versucht wird. Auch spiegelt sich sein Beruf in beklemmenden Schilderungen von Kriegsgräueln, der genauen Kenntnis der Topographie, Witterung und Lebensumständen afrikanischer Länder und bitteren Einsichten in die zunehmend von wirtschaftlicher Abhängigkeit bestimmte Entwicklung des Medienwesens.
Bildschirmfoto 2021 05 16 um 10.41.07Trotzdem - oder vielleicht deshalb - ist es entscheidend, festzuhalten: DIES IST NICHT DER „TYPISCHE“ Roman eines Journalisten, der lediglich sein Gewerbe reflektiert, vielleicht auch, kommt ja auch gerne vor, ein bisserl auf die Schaufel nimmt. Das tut Bobi allenfalls sehr mittelbar und sehr subtil: Wie er etwa einer sich (scheinbar) anbahnenden erotischen Beziehung seines Protagonisten mit einer attraktiven Sprachforscherin ganz beiläufig den Vollzug verweigert, könnte als boshafter Subversionsakt gegen die vulgären Erzähl-Dramaturgien des Boulevard gelesen werden. Die Titelgeschichte lässt er beiläufig eines stillen und unbeweinten Todes sterben; stattdessen schickt er seinen Protagonisten in eine unerbittliche physische wie auch metaphysische Tour de Force, die diesen zu einer extremen Konsequenz treibt.
Die wahre Hauptfigur des Romans ist eigentlich ein philosophisches Konstrukt, das auf einem existenziellen Paradoxon aufbaut: Was bedeutet es für Homo sapiens, wenn all sein Geistes- und Gedankenwerk aus einem Defekt konstituiert ist? Wann und wie ist es zu diesem gekommen?
Und in welchem Ausmaß sind seine Konsequenzen zu tolerieren? Die Antwort von Bobis Protagonisten ist rigoros: gar nicht. Im Verlauf des Buchs ist ein aber ein Einlenken zu spüren, das weit eher die Position des Autors widerspiegelt. „Ich selbst sage: Die Sprache kann, was sie kann und die Menschen tun, was sie können, so gut es eben geht. Das Leben ist ein Provisorium, wo man mit dem Unfertigen und Vorläufigen umgehen muss. Und ich neige dazu, wie Noam Chomsky zu glauben, dass Sprache eigentlich nicht zum Sprechen gedacht ist, sondern als Ordnungssystem im Hirn, das aus unserem Kopf ein funktionierendes Archiv macht. Sprache macht archivarische Ordnung im Kopf, kann aber alternativ auch zum Austauschen von Codes verwendet werden, also zum Kommunizieren. So gesehen, als Ersatzmittel, funktioniert sie wiederum sehr gut.“
Erst die Sprache mache, wie Bobi konstatiert, aus Sachen Tatsachen. „Das Um und Auf ist, zu verstehen, was sie kann und was sie nicht kann, damit man das Richtige erwartet. Es gibt nicht so viele Sprachen wie Völker, sondern so viele wie Menschen.“

Nun ist die große Stärke des Schriftstellers Emil Bobi genau seine Sprache: gnadenlos präzise, lakonisch, unanfechtbar von Klischees und konsensualen Floskeln. Kurzum: genau jenes Instrument, dem er - im Buch - seine universale Kommunikationstauglichkeit abspricht, ist der beste Botschafter seiner Geschichte. Bobi räumt ein, damit die Grundthese seines Romans bewusst zu konterkarieren. Man kann das in etwa als ein Abarbeiten an einer berufslebenslangen Herausforderung begreifen.
„Seit ich schreibe, erlebe ich die Grenzen der Sprache. Ich stehe ständig an ihren Grenzen und versuche sie zu überschreiten. Das ist Schreiben, wie ich es verstehe. Schreiben ist nicht Wiederholung des schon Gesagten. Schreiben ist, das sprachlich Unerfasste zu erfassen. Sprache würgt an ihren eigenen Grenzen herum, um sie auszuweiten.“

Emil Bobi
Abara Da Kabar
Roman
Verlag Anton Pustet, Salzburg 2021. 365 Seiten, 24,00 Euro

*Emil Bobi, in der Steiermark geboren, hat u.a. für die Neue Zeit, AZ, News und profil gearbeitet

 

 

 



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