Oliver Maurmann alias Guz, 1967 - 2020 Oliver Maurmann alias Guz, 1967 - 2020 Facebook
29 Nov
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Eine (traurige) kleine Sonntagsgeschichte

Vor kurzem erschien eine neue LP der schweizerischen Rock-Band Die Aeronauten. Mit Texten und Gesang des Anfang dieses Jahres verstorbenen Songwriter-Genies Oliver Maurmann alias Guz. (Persönliche) Erinnerungen an den witzigsten Pop-Autor deutscher Zunge. 

Dieses Jahr war ja, das muss Ihnen niemand extra erzählen, nicht wirklich arm an Gemeinheiten. Aber nichts von außerhalb der engsten privaten Sphäre ist mir auch nur annähernd so heftig in die Magengrube gefahren wie das Ergebnis einer Routine-Recherche, die ich anstellte, als mir Anfang Oktober vorab die neue Platte der Aeronauten zugeschickt wurde. Sie heißt übrigens „Neun Extraleben“ und ist seit kurzem offiziell auf dem Markt.

Eine neue Aeronauten-Platte ist immer ein Grund zur Freude: Die Musik - agiler, mit quirligen Bläsern verstärkter/akzentuierter Post-Punk-Rock, entfernt vielleicht den frühen Dexys Midnight Runners ähnlich oder Family 5, dem Zweitprojekt des Fehlfarben-Sängers Peter Hein - hat hohen Wiedererkennungswert, Individualität, ordentlich Dynamik und wegen einer gewissen melodischen Raffinesse der Songs auch einen attraktiven Pop-Appeal. Eine Aeronaturen-Platte ist wie ein Wiedersehen mit einem geschätzten Freund.
Die Aeronauten, die, wiewohl Schweizer, gemeinhin der Hamburger Schule der 90er Jahre zugerechnet werden und ja auch wie Tocotronic, Die Sterne, Die Regierung und viele andere Proponenten dieser diskursgewandten Spielart deutschsprachiger Rockmusik beim darauf spezialisierten Label L’age d’or veröffentlichten, hatten nur ein kleines „Problem“: Die Platten, die ihr Sänger und Texter Oliver Maurmann unter dem Namen Guz im Alleingang in seinem eigenen Studio in Schaffhausen fertigte, waren noch interessanter, eigenwilliger, verschrobener, kühner. Und so animierte mich die neue Aeronauten-Platte zuallererst einmal, nachzuforschen, was denn Maurmann/Guz jetzt so macht.

Und so erfuhr ich, ganz beiläufig, dass es kein Jetzt mehr gibt.

„*2. Dezember 1967 in Konstanz; † 19. Januar 2020 in Zürich“ liest man als Erstes, wenn die Suchmaschine Treffer zum Namen Guz ausgibt. Ganz früh in diesem Jahr - konnte das denn anders als beschissen werden? - ist Oliver Maurmann in einem Zürcher Spital einem Herzinfarkt erlegen. 52 Jahre alt ist er geworden. Vor Jahren war bei ihm eine Herzinsuffizienz diagnostiziert worden - 114 Tage hatte er im Unispital vergeblich auf ein Spenderherz gewartet.

Scannen 2020 11 29 15.19.03Die ziemlich beste Guz-Platte, nämlich „Starquick“ von 1998, stößt übrigens bewusst die oben erwähnte Divergenz zwischen Maurmanns eher gefälligen Band-Aktivitäten und seiner viel individualistischeren Arbeit als Guz an: „Bitte vor Die Aeronauten einordnen. Guz ist zwar deren Sänger, aber besser“ heißt es da auf einem Sticker. Den ersten Satz hat die Plattenfirma L’age d’or ausgeheckt, den zweiten Maurmann selbst. Nicht dass er ernsthaft so denke, erklärte mir der großgewachsene Künstler bei einem ersten Interview im Hotel Fürstenhof (das es übrigens auch nicht mehr gibt). „Aber auf gewisse Weise ist es gut, ein bisschen Kleinkrieg anzuheizen.“ Auch einen Kleinkrieg gegen sich selbst? „Ich hab Spass daran.“

Solche gewisse Lust am Stänkern manifestiert sich noch stärker - das betrifft Guz- wie Aeronauten-Platten querbeet - in Maurmanns Texten. Ein Philanthrop offenbart sich da jedenfalls eher nicht:  „Ich kenne ihre Meinung, sie hängt bei mir im Klo“. „Sie fingen an zu tröten auf selbstgemachten Flöten und ich wusste, es waren Arschgeigen". „Wir trinken Bier bis wir keines mehr kriegen und schlagen uns, bis wir am Boden liegen.“ Besonders schön: „Meine Musik ist scheiße, meine Freunde sind ein Haufen Dreck“. „Es macht einfach Spaß, sowas zu singen“, erklärte Maurmann lakonisch.

Gift & Galle

Komische Menschen mit komischen Neigungen bevölkern seine Szenarien: Irre Wissenschaftler, Verschwörungsphantasten, Sektenanhänger und -führer, Neo-Nazis, entstellte Freaks und andere Außenseiter aus allen vorstellbaren und unvorstellbaren sozialen Topoi. Ganz sporadisch konnte sich Maurmann in der Wahl der Worte und Metaphern ein wenig vergreifen, aber kein anderer deutschsprachiger Pop-Künstler hatte einen so galligen Witz wie er: „Wir sind Genforscher, und wir kriegen keine Freundin / und kriegen wir keine, basteln wir uns eben selber eine“. „Alles schaut auf die Jugend der Welt, die die Zukunft der Welt in Händen hält / doch reib deine Augen und schau noch mal, denn diese Gestalten sind eine Qual“.

Selten war dieser Witz nur absurd; oft verband er sich mit einer feinen Witterung gesellschaftlicher Winde. In „Parisienne People“ beschreibt Guz vorwegnehmend einen Lebensstil, der ein paar Jahre später als Bohemien Bourgeois - Bobo - die Runde gemacht hat. Der Titel meint die Raucher der nämlichen Zigarettenmarke. „Die wird in der Schweiz mit großen, zeitgeistigen Plakaten beworben“, erzählte er mir. „Und ,Parisienne People’ steht da als Synonym für Bohemiens. Leute wie ich. Und da erkannte ich, dass diese Werbung mich als Zielgruppe anspricht. Vorher war Werbung etwas, das mich nix anging, nur jemanden, der sich ein Auto kaufen möchte oder ein Haus“. (Maurmann, vordem eifriger Konsument regionaler Nikotin-Produkte, hörte sofort zu rauchen auf, als seine Herzschwäche festgestellt wurde).

Spannung

Auf Guz-Alben kracht und eiert es, kommt die bärbeißige Stimme gerne einmal in absichtsvoll grindiger Aufnahmequalität, werden Stücke zu Fetzen filetiert, während an anderer Stelle gewaltige Klangmauern aufgetürmt werden. Anderes als es die Vielfalt an Sounds, Geräuschen und Effekten suggerieren könnte, sind diese Platten aber mit relativ einfacher elektronischer Gerätschaft und gänzlich ohne Samples entstanden. „Ich benutze ziemlich primitive Elektronik, die ich von da her interessant finde, als du damit vieles falsch machen kannst. Ich setze sie auch gerne für Sachen ein, für die sie nicht gedacht sind. Bei einem Sampler habe ich manchmal das Gefühl, dass es einem damit ein bisschen zu leicht gemacht wird. Man kennt auch schon diesen Sampler-Sound - das ist irgendwie so normal geworden“, erläuterte Maurmann, der ganz nebenbei bemerkt auch eine prägnante Gitarre spielte, die mit wenigen Tönen scharfe Kanten und Spannung erzeugen konnte.

Spannung - davon ist ungewöhnlich viel auch in die neue Aeronauten-Platte eingeflossen und entlädt sich in speedigen, dringlichen, lärmigen Titeln wie „Hatemails“ oder „Du kotzt mich an jetzt“. Das löchert - glücklicherweise - den Trauerflor, den die triste Faktenlage unweigerlich um die Platte gelegt hat. Beim besten Track des Albums, dem Titelsong „Neun Extraleben“, rettet allerdings auch kein Galgenhumor die Stimmung vor dem Fall in den Abgrund: „Neun Extraleben - acht verspielt / Neun Extraleben, vielleicht noch eins dazu / versprochen versprochen versprochen, diesmal wird alles gut.“
Nix ist gut, verdammt noch mal.