Agnes Zauner, Global 2000, Bertram Barth, Integral, Anita Malli, Mutter Erde Agnes Zauner, Global 2000, Bertram Barth, Integral, Anita Malli, Mutter Erde Integral
10 Sep
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Klimawandel IST ein Thema

Eine sehr interessante Studie präsentierten Integral, Mutter Erde und Global 2000 im Presseclub Concordia: Wie nahe geht den Menschen in Österreich die Klimakrise?

Von 2015 bis 2017 prägte die Migrations-Problematik den gesellschaftlichen Diskurs in Österreich und EU-weit. Danach beherrschte - nicht hervorgerufen, aber verstärkt durch Bewegungen wie Fridays for Future - der Klimawandel, der Experten zufolge eine veritable Klimakrise ist, den öffentlichen Meinungs- und Gedankenaustausch. Natürlich hat heuer die Corona-Pandemie vorübergehend alle anderen Themen in den Schatten gestellt. Aber jetzt ist die Klimakrise wieder präsent im öffentlichen Bewusstsein. Voll präsent. Das Virus hat da sogar etwas nachgeholfen. 

„Natürlich hat es Zeiten gegeben, wo kein anderes Thema wichtig war als Corona. Trotzdem wurde - das hat auch uns ein wenig überrascht - das Thema Klimawandel nicht an die Wand gedrängt. Es zeigt sich, dass die sozialen Milieus, die am stärksten dahinter sind, dass etwas gegen den Klimawandel getan wird, wichtiger geworden sind. Das heißt, indirekt hat die Coronakrise die Wirksamkeit des Themas Klimawandel sogar verstärkt“, sagt Bertram Barth.
Bertram Barth ist geschäftsführender Gesellschafter der Integral Marktforschung. Dieses hat für die Initiative Mutter Erde und die Umweltorganisation Global 2000 eine Sinus-Milieu-Studie zum Thema Klimakrise in Österreich erstellt. Sinus-Milieu-Studie heißt, dass sich die Erhebung, die auf einer Befragung von 1000 Personen ab 16 Jahren basiert und in der ersten Augusthälfte durchgeführt wurde, nicht nur an statistischen Daten wie Alter, Geschlecht, Bildung etc. orientiert, sondern auch an Wertgemeinschaften. Deren 10 sind in der Studie repräsentiert:

Konservative: Leitmilieu im traditionellen Bereich mit einer hohen Verantwortungsethik. Stark von christlichen Wertvorstellungen geprägt, hohe Wertschätzung von Bildung und Kultur, kritisch gegenüber aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen.
Traditionelle: Das auf Sicherheit, Ordnung und Stabilität fokussierte Milieu: Verwurzelt in der alten kleinbürgerlichen Welt, in der traditionellen Arbeiterkultur und im traditionell ländlichen Milieu.
Etablierte: Die leistungsorientierte Elite mit starkem Traditionsbewusstsein. Deutliche Exklusivitäts- und Führungsansprüche, hohes Standesbewusstsein und ausgeprägtes Verantwortungsethos.
Postmaterielle: Weltoffene Gesellschaftskritiker; gebildetes, vielfältig kulturinteressiertes Milieu, kosmopolitisch orientiert, aber kritisch gegenüber Globalisierung; sozial engagiert.
Performer: Die flexible und global orientierte moderne Elite. Effizienz, Eigenverantwortung und individueller Erfolg haben oberste Priorität; hohe Business-und IT-Kompetenz.
Digitale Individualisten: Die individualistische und vernetzte Lifestyle-Avantgarde. Mental und geographisch mobil, online und offline vernetzt, ständig auf der Suche nach neuen Erfahrungen.
Bürgerliche Mitte: Der leistungs- und anpassungsbereite Mainstream. Streben nach beruflicher und sozialer Etablierung, gesicherten und harmonischen Verhältnissen, Halt und Orientierung, Ruhe und Entschleunigung.
Adaptiv-Pragmatische: Die neue flexible Mitte. Ausgeprägter Lebenspragmatismus, Streben nach Verankerung, Zugehörigkeit, Sicherheit; Grundsätzliche Leistungsbereitschaft, aber auch Wunsch nach Spaß und Unterhaltung.
Konsumorientierte Basis: Die um Teilhabe bemühte, konsumorientierte Unterschicht. Ausgeprägte Gefühle der Benachteiligung, Zukunftsängste und Ressentiments; bemüht, Anschluss zu halten an den Lebensstil und die Konsumstandards der Mitte.
Hedonisten: Die momentbezogene, erlebnishungrige untere Mitte; Leben im Hier und Jetzt, Suche nach Spaß und Unterhaltung; Verweigerung von Konventionen der Mehrheitsgesellschaft.

Hohes Interesse 

Der Studie zufolge ist die Anteilnahme am Thema Klimawandel in Österreich sehr hoch: Gut vier Fünftel bzw. 79 Prozent der Befragen bekunden Interesse; 34 Prozent ein starkes. Besonders ausgeprägt ist es - naturgemäß - bei den Postmateriellen; bei ihnen beträgt es 51 Prozent. Starkes Interesse herrscht auch (in dieser Reihenfolge) bei Konservativen, Bürgerlicher Mitte, Etablierten und Performern. Immerhin ein Problembewusstsein zeigen noch die Hedonisten, die in einigen Punkten dieser Studien etwas überraschen. Wenig verwundert dagegen, wer die nicht so Interessierten sind: Die Konsumorientierte Basis, die Traditionellen und die Adaptiv-Pragmatischen. Ganz übel sieht´s aus bei den Digitalen Individualisten: Nur 13 Prozent von ihnen interessieren sich für den Klimawandel (mein Computer rennt auch ohne Ökostrom).

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Sehr aufschlußreich - und auch ein wenig bedenklich - ist, wie gut informiert sich die Österreicher über den Klimawandel informiert fühlen: Nicht so besonders nämlich. Fast die Hälfte - 45 Prozent - attestieren sich mangelnden Durchblick. Besonders gut informiert wähnen sich die Performer - klar, die wissen immer alles - und weitere Teile der sogenannten Elite: Konservative, Etablierte. Postmaterielle geben sich vergleichsweise bescheidener. Neuerlich fällt indes ein relativ hoher Wert bei den Hedonisten auf.
Die interessante Frage aus dem Publikum im Presseclub Concordia, wo die Studie heute Donnerstag präsentiert wurde, warum denn die Österreicher so schlecht über den Klimawandel informiert sind, wo das Land doch mit dem ORF und der Krone fraglos umweltfreundliche Leitmedien habe, wusste Mutter Erde-Geschäftsführerin Anita Malli nicht so recht zu beantworten. Zuerst versuchte sie es mit dem Argument, dass Klimawandel (noch?) kein Gegenstand im Schulunterricht sei. Dann zitierte sie sinngemäß die Einsicht eines früheren österreichischen Bundeskanzlers, dass eben alles sehr kompliziert sei: „Es ist ein komplexes System. Es wird schon sehr viel verlangt von uns Menschen, das zu verstehen. Da stehen wir als Gesamtgesellschaft gerade erst am Anfang. Wir haben gesehen, dass es viele Menschen gibt, die sich mit dem Thema beschäftigen. Das sind die gehobenen, gebildeteren Milieus. Aber es geht darum, auch alle zu erreichen, die diese Bildungsmöglichkeiten nicht haben. Und da sind eben auch die Medien und die Umweltgesellschaften gefordert.“

Steuern für Umweltschädlinge

87 Prozent der Österreicher vertreten die Ansicht, jeder könne aktiv zum Klimaschutz beitragen; 54 Prozent bekunden große Angst vor dem Klimawandel, für dessen Hauptverursacher 74 Prozent fossile Brennstoffe halten. 88 Prozent sind überzeugt - 60 davon stark -, dass etwas gegen den Klimawandel getan werden muss. 87 Prozent finden, dass man dafür Wirtschaft und Industrie viel stärker in die Pflicht nehmen muss.
80 Prozent sind der Meinung, die Politik müsste viel mehr für den Klimaschutz tun - nur 13 Prozent glauben, sie tue bereits genug. Sehr mäßige 34 Prozent vertrauen der Regierung (gegenüber 61 Prozent Misstrauenden), die richtigen Maßnahmen gegen den Klimawandel zu setzen. Eine davon wäre, so finden 79 Prozent, die Gestaltung des Steuersystems nach dem Verursacherprinzip: Dass eine klimaschädliche Geschäftspraxis stärker besteuert wird als eine klimafreundliche.
„Das bedeutet, die Menschen haben keine Geduld und kein Verständnis mehr, dass eine halbe Milliarde Euro („Strafzahlungen“ für das Verfehlen von EU-Klimazielen, Anm.) an CO2 in die Luft verballert wird“, kommentiert Global 2000-Geschäftsführerin und Mutter Erde-Vorstandsmitglied Agnes Zauner.

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Wie ehrlich sind die Aussagen?

Ein Problem mit Studien wie dieser ist ihre Wahrhaftigkeit. Man kennt das von den diversen Meinungsumfragen vor Wahlen, bei denen die FPÖ immer schlechter liegt als sie dann tatsächlich in den Urnen bilanziert. Auch bei einem so heiklen Themenbereich wie Umwelt und Klimaschutz ist eine Tendenz zu sozial erwünschten/gefälligen Antworten vorstellbar. Und es gibt in der Studie einen Punkt, wo so etwas wie in innerer Widerspruch manifest wird: So sind zwar 85 Prozent überzeugt, jeder einzelne könne/müsse sich klimafreundlicher verhalten; 80 Prozent bekunden auch die Bereitschaft, das zu tun. Wenn´s aber ans eigene Auto geht, stoßen gute Vorsätze schnell an eine Grenze: Gerade einmal 34 Prozent würden auf einen eigenen PKW verzichten oder auch nur weniger damit fahren. Das hat zum Teil natürlich praktische Gründe - vor allem die schlechte Anbindung an den Öffentlichen Verkehr am Land -, aber eben auch emotionale, die eher in den Arbeitsbereich von Tiefenpsychologen als von Verkehrsplanern fallen. 

Ein Gast im Presseclub Concordia äußerte denn auch berechtigte Zweifel an der Ehrlichkeit der Befragten. Dieses potentielle Problem wusste Integral-GF Barth aber schlüssig zu entkräften: „Wir sehen einen harten Kern von 25 bis 35 Prozent mit großer Überzeugung. Und dann sehen wir Follower. Und die sagen zum Teil Dinge, die nicht stimmen. Das ändert aber nichts an der Wichtigkeit des Themas. Und das ist nicht die einzige Studie, die das aufzeigt. Wir sehen seit Jahren immer wieder überwältigende Zustimmung, dass der Klimawandel ein sehr ernstes Thema ist und die Politik mehr dagegen tun sollte. Auch wenn das zum Teil Lippenbekenntnisse sind, ist es ein Thema, das präsent ist. Dass sich jemand veranlasst sieht, zu übertreiben, bestätigt ja auch die Brisanz des Themas.“