Richard Nimmerrichter, persönlich erlebt ORF
06 Feb
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Richard Nimmerrichter, persönlich erlebt

Einer aus dem Fußvolk erinnert sich des Krone-Kolumnisten (1920 - 2022).

 

Bis 1991 kannte ich Richard Nimmerrichter, so wie die meisten Österreicher, nur aus der Zeitung oder maximal noch aus dem Fernsehen. Seine „Staberl"-Kolumnen las ich, wie ich zugeben muss, unter satirischen Prämissen, also um etwas exquisit Blödes zum (Aus)Lachen zu haben. Im Fernsehen habe ich ihn im „Club 2" erlebt, wo mir aufgefallen ist, dass er sich kaum je aktiv in eine Diskussion einschaltete, sondern fast immer nur reagierte - auf Kritik, Anschuldigungen, hin und wieder wohl auch Unterstellungen - und sich dann immer recht aggressiv zur Wehr setzte.

Von 1991 bis Anfang 2001 arbeitete ich als Redakteur der längst dahingeschiedenen Fernseh- und Radiowoche, die als TV-Supplement Krone und Kurier beilag und im Haus der Krone produziert wurde. In diesen 10 Jahren habe ich Richard Nimmerrichter vielleicht fünf oder sechs Mal gesehen. Im Lift pflegte er sich abzuwenden, als dürfe er den namenlosen Mitfahrenden auf keinen Fall bemerken. Solchen Verhaltens befleißigten sich allerdings auch andere Krone-„Stars", etwa Michael Jeannée oder Friedrich Dragon. Der Fotograf Andi Schiel wäre mir vor lauter Nicht-Bemerken einmal fast auf die Füße gestiegen (was bei dessen Ausmaßen eine Notoperation im Krankenhaus notwendig gemacht hätte).
Nimmerrichter - wie alt war er damals? 70 plus - ging bereits etwas gebeugt: Es war nicht der klassische Altersbuckel, der sogenannte Witwenbuckel infolge Wirbelsäulenverkrümmung, sondern es sah irgendwie aus als sei sein gesamter Oberkörper ab der Hüfte ganz leicht nach vorne geklappt. Er ging auch ein bisschen steif - was sich ein bisschen mit den zahlreichen sportlichen Fotos von ihm schlug -, aber weder hinkte er noch war sein Gehen in irgendeiner anderen Weise motorisch beeinträchtigt.
Einmal sah ich ihn im legendären Schreibbüro der Krone mit einem Blatt in der Hand - das hieß, dass er neben Roman Schliesser, Jeannée und Marga Swoboda zu denen gehörte, die ihre Texte auf einer Schreibmaschine eingaben und von den Mädels dort in den Computer übertragen ließen. Ein anderes Mal sah ich, wie er unten im Parterre zufällig mit Hans Dichand zusammentraf. „Wie geht´s dir?", fragte Dichand, zuvorkommend und jovial wie bei solchen beiläufigen Begegnung immer. „Naja", brummte Nimmerrichter und machte diese vage-ratlose Geste, die im Prinzip signalisiert: „Nicht sehr toll."

Ansonsten sah man Nimmerrichter am ehesten mittags in der Kantine. Ich glaube, er ist damals fast täglich dorthin gekommen, um - ziemlich früh, vor 12.00 - zu speisen. Einmal erlebte ich von ein paar Tischen weiter, wie eine alte Frau - deren geistige Verfassung allerdings nicht über alle Zweifel erhaben schien - an seinen Tisch kam und etwas zu ihm sagte. „Ich verbitte mir, dass Sie mich da belästigen", sagte Nimmerrichter so laut, dass es noch in den hintersten Ecken des riesigen Saales zu hören war. „Wenn Sie der Meinung sind, dass ich Ihnen etwas schulde, gehen Sie vor Gericht und lassen Sie mich hier in Ruhe!"

Akustisch vernahm ich ihn auch in einem Bus, der große Teile der Belegschaft nach einem Ausflug ins Waldviertel - ich hab vergessen, worum´s ging - zurück nach Wien brachte. Nimmerrichter redete über irgendeine Frau: „War natürlich linksfortschrittlich angehaucht..." sagte er da unter anderem, und spätestens da war mir klar, dass er das, was er schrieb, auch wirklich glaubte. Das taten in der Krone damals aber ziemlich alle - ob sie Jeannée hießen oder sich in der Chronik als Bluthunde verdingten. Entgegen meiner Unterstellung, in der Krone und ähnlichen Blättern arbeiteten Leute, die gegen gutes Geld logen oder sich verbogen, atmeten die Mitarbeiter dort wirklich den Geist dieser Zeitung.

Bei der Krone-Weihnachtsfeier 2000 im Haas-Haus saß ich zufällig in Nimmerrichters Nähe. Unvermittelt prostete er mir sehr gut gelaunt zu. Es war das letzte Mal, dass ich Richard Nimmerrichter gesehen habe, und der Grund, warum ich letztlich doch einen halbwegs freundlichen Eindruck von ihm mitgenommen habe.