Die Rache des Journalisten an den Politikern ist, so sagte ein legendärer Spruch des verstorbenen Robert Hochner, das Archiv. Ein gutes Gedächtnis ist aber auch recht brauchbar. Zum Beispiel, wenn es daran geht, den 13.3.2020 zu erinnern: Scheint irgendwie wie aus einem anderen Leben. Auf gewisse Weise ist es das ja auch. Die letzten Tage vor -. Erinnern Sie sich noch an die leeren Klopapier-Paletten in den Supermärkten? Aus heutiger Sicht ein Witz. Und wissen Sie auch noch, was damals eine gewisser Herbert Kickl gefordert hat? Aus heutiger Sicht ebenfalls ein Witz.
Nun, Herbert Kickl war ganz früher auch einmal ein Linker - übertrieben schwer tut sich der Mann also nicht mit radikalen Positionswechseln.
Heute ist er der Held der Corona-Protester und Covidioten. Ich mache den Unterschied, weil die Ersteren nicht automatisch auch Zweiteres sind (umgekehrt natürlich schon). Die Menschen, die derzeit zu Zigtausenden auf Demos gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung mobil machen, sind laut dem Corona-Protest-Report, den die Forschungswerkstatt Corona-Proteste der Sigmund Freud Universität (SFU) erstellt hat, mehrheitlich sogar überdurchschnittlich gebildet, in der deutlichen Überzahl Frauen, selbstständig/freiberuflich und im Schnitt 48 Jahre alt. Auch wenn man bei diesen Ergebnissen das Studien-Design beachten muss — befragt wurden Mitglieder verschiedener Telegram-Gruppen online in nicht berauschend großen Samples von 600 bis 700 Menschen - soviel, dass die Corona-Protest-Bewegung nicht einfach nur aus Radaubrüdern (gegendert: -brüder*innen) besteht, ist aus ihnen wohl einigermaßen verlässlich abzuleiten. Es sind auch nicht alle - auch das ein Gemeinplatz - rechts, geschweige denn rechtsradikal. Es sollte ihnen aber klar sein, dass sie bedenkenlos mit Rechten und teilweise Rechtsradikalen gemeinsame Sache machen. Mit Herbert Kickl als eindeutiger Gallionsfigur - MFG hin, irgendwelche Nina Prolls oder Roland Düringers her: In seiner in Westeuropa einmalig aggressiven Rhetorik hat der Mann, der am Beginn der Pandemie vor allen anderen Politikern in Österreich einen Lockdown gefordert hat, den Protest gegen Corona-Schutz-Maßnahmen angeheizt und aufgestachelt und in einem kollektiven Opfer-Narrativ vereint. Maßnahmen-Gegner sehen sich als „die neuen Juden“, tragen Davidsterne und faseln von Diktatur. Alle diese Argumente und Aktionen sind so unglaublich dumm, dass sich Widerwille einstellt, überhaupt auf sie einzugehen. Genau deswegen aber, weil ob ihrer Inferiorität meist gar nicht auf sie eingegangen wird, werden sie möglicherweise auch ungeniert stets aufs Neue vorgebracht.
Es ist außerdem eine Art Naturgesetz, dass in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen Schwurbler grundsätzlich lauter schreien als andere - deswegen finden ja auch Klimawandelleugner so ungebührlich viel Gehör. Bei Corona gehen Covidioten, weitgehend unbehindert/ungestraft von der Exekutive, besonders aggressiv, teilweise gewalttätig zu Werke. Es kann schon gefährlich sein, sie zur Einhaltung der Maskenpflicht bewegen zu wollen - das bezahlte in Deutschland ein Tankstellenkassier mit dem Leben. Dass Medienarbeiter bei Demos tätlich angegriffen werden, gehört ja schon zur gräßlichen Routine.
Das alles hat die sogenannte schweigende Mehrheit bisher hingenommen. Wenn sie das, wie es zahlreiche Indizien andeuten, recht bald nicht mehr tun wird, wird´s interessant. Nämlich wenn dann Fragen laut werden: Wie kann es sein, dass Operationen verschoben werden müssen, weil ungeimpfte Covidioten die Intensivstationen belegen? Dass die uns in den Lockdown mitziehen? Dass also in Wirklichkeit die uns unser Leben diktieren, während sie laut „Diktatur!“ plärren? Die sollten Diktatur einmal in Lukaschenkos Weißrussland ausprobieren - the real stuff, Leute.
Eine definitiv gravierende Maßnahme ist die geplante Impfpflicht. Zumal in einem Land, das - keine Ahnung, warum - Impfungen a priori stark ablehnend gegenübersteht. Dass Österreich bei Corona die niedrigsten Durchimpfungsraten in Europa hat, ist teilweise auch diesem „Erbe“ geschuldet.
Natürlich ist eine Impfpflicht - als Verordnung - kritisch zu beurteilen. Aber so wie sich die Lage darstellt, dürfte sie eine vernünftige Maßnahme sein. Eine Notmaßnahme fraglos. Verfassungsrechtlich wird sie wahrscheinlich durchgehen. Wesentlicher aber scheinen mir ein paar pragmatische, wenn auch bislang wenig beachtete Aspekte: Sie eröffnet deklarierten Impfgegnern die Möglichkeit, sich impfen zu lassen, ohne ihr Gesicht zu verlieren - schließlich werden sie gezwungen. Wir wissen ja alle eigentlich kaum oder nur inkohärent über die Motive von Impfgegnern Bescheid. Wir wissen nur, dass die meisten irgendwelchen abstrusen Verschwörungserzählungen anhängen. Aber wir wissen schon nicht einmal sicher, ob sie sich damit einfach nur wichtig machen wollen oder ihre Phantasmen ernsthaft glauben. Vielleicht sind sogar manche, ganz ganz insgeheim, froh sich impfen lassen zu können?
Ganz nebenbei bietet die verpflichtende Impfung eine Chance, auch jene migrantischen Kreise zu erreichen, die sie nicht aus aggressiver Ablehnung, sondern einfach mangels Information und/oder Integration bislang nicht wahrgenommen haben. Und schließlich bringt die Impfpflicht etwas Klarheit über die Anzahl und Motive der Hardcore-Verweigerer.
Die Frage ist nur: Wird das alles ordentlich durchexerziert? Nix genaueres weiß man nicht, weil die da oben uns auch nix Genaueres sagen. Es heißt, ab 1. Februar soll die Impfpflicht kommen. Wird das der Tag sein, an dem sie offiziell verkündet wird? Wenn ja, gibt´s für den Stich dann eine Vier-oder-fünf-Wochen-Frist, weil das ja alles so überraschend kommt? Wie administriert und behandelt man die notwendigen Ausnahmen für Menschen, die sich tatsächlich nicht impfen lassen können? Je schneller und klarer uns Schallenberg, Mückstein & Co darüber aufklären, desto besser. Allein: Das bisherige Transparenzgebaren der türkis-grünen Regierung gibt da nicht viel Anlass zur Hoffnung.
Zugegebenermaßen war da ein Posten entscheidend anders besetzt. So wird die Exekution der Impfpflicht auch ein Gradmesser, ob sich der neue Kanzler vom alten tatsächlich emanzipiert hat.
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