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Zwei freundliche Damen in den besten Jahren: Anni-Frid Lyngstad, Agnetha Fältskog Zwei freundliche Damen in den besten Jahren: Anni-Frid Lyngstad, Agnetha Fältskog Ludvig Andersson
07 Nov
geschrieben von 

Wozu noch aufplustern?

Zum ersten Album nach 40 Jahren: Eine streng subjektive Betrachtung, warum man ABBA zwar sehr mögen darf, aber besser nicht als die ultimativ größte Pop-Band aller Zeiten handelt. FOTOSTRECKE.

Ist Ihnen schon einmal bewusst aufgefallen, wie unterschiedlich das Altern von Stimmen wahrgenommen wird? Wir bemerken es eigentlich kaum, wenn diese Stimme, wie etwa jene Mick Jaggers, alle paar Jahre die „vermutlich allerletzte“ Stones-Tour absolviert. Es kann als eine Art Schock kommen, wenn man von der Stimme Jahrzehnte nichts Aktuelles mehr gehört hat. Ein solcher Moment stellt sich beim ersten ABBA-Album seit 40 Jahren ein. Es ist eigentümlich ergreifend, wenn Anni-Frid Lyngstad, 76, fragil, fast brüchig zu feierlicher Hintergrundorchestrierung in „I Still Have Faith In You“ einsteigt. Fast zwei Minuten lang wird da, ohne dass es im Text unmittelbar thematisiert würde, das Altern ausgestellt. Dann bauscht sich das Ganze zu den bekannten, fast wie gepitcht klingenden Chorgesängen auf und wir haben ABBA-Business as unsual. Und natürlich erspart „Voyage“, wie der Longplayer (UMI/Universal) betitelt ist, der hunderte Millionen starken ABBA-Fangemeinde gravierende Überraschungen. Warum auch sollte eine Band, auf deren neue Platte die halbe Welt gewartet hat, auf Selbstreferenzen verzichten?

Alles ist da: Ein bisserl urlaubserinnerungsseliger Vulgär-Ethno, ein bisserl Disco im Pensionistenschritt, ein bisserl Rock darf´s auch sein und nicht zuletzt jenes gemütlich-nostalgische Sentiment, das ABBA - siehe „I Do, I Do, I Do, I Do“ - immer ganz gut konnten. Und mehr als nur ein bisserl Bombast und Kitsch, wobei mit dem Kinderchor, der „Little Things“ abschließt, schon mal das Schmalz aus dem Topf schießt. „Keep an Eye On Dan“ hört genau mit dem Klaviermotiv auf, mit dem „SOS“ anfängt, „Bumblebee“ trifft jenes Sentiment, das „Fernando“ und „Chiquitita“ beseelte, auf den Punkt. Auch inhaltlich hat sich nichts verändert - viel Weltumarmung, etwas Bedenk-oh-Mensch-Gegrübel und natürlich ist man mit 70+ nicht zu alt, um noch einmal ausgiebig in der Beziehungskiste zu wühlen. Ist daran irgendetwas minderwertig? Nein. Muss man so tun, als sei es eine Offenbarung? Auch nein!

Unlängst ereilte mich eine ehrenvolle Einladung zu einem Podcast. Meine Aufgabe wäre gewesen, einem übrigens recht prominenten ABBA-Verächter Contra zu geben, also einigermaßen enthusiastisch pro ABBA einzutreten. Falls Sie das tun oder jemanden wissen, schauen Sie auf https://www.tablara.at/.
Ich für meinen Teil musste, weil weder ABBA-Verächter noch glühender Fan, passen. Ich finde sie mehr gut als schlecht, aber nicht so epochal, wie das viele Berufskollegen und sehr viele Musiker, auch aus dem Indie-Lager, tun.
Ich bin in einem erstaunlich unaufgeregten Verhältnis zu ABBA aufgewachsen - bei Hubert Patterer etwa war das offensichtlich deutlich anders, wie er unlängst in der Morgenpost der Kleinen Zeitung geschrieben hat: „Meine ABBA-Karriere begann unter der Bettdecke im Schülerheim, das Bundeskonvikt hieß. Unter der Decke war ein flacher, auf leise gestellter Kassettenrekorder mit einer orange leuchtenden Play-Taste, sie leuchtet heute noch. Über der Decke stand ABBA auf dem Index, die Gruppendynamik bestrafte das Bekenntnis mit sozialer Ächtung. Über der Decke war Deep Purple, sie sangen vom Rauch über dem Wasser und dem Feuer im Himmel.“
Zwar waren in meinem engsten Bekanntenkreis ABBA auch eher verpönt und ich selbst mochte sie anfangs auch nicht wirklich, aber irgendwie ging das unauffällig im größeren Bild unter. Auf dem Land in der Steiermark in den 70er Jahren war der musikalische Geschmack, der kulturelle Standard allgemein, sowas von unter aller Sau, dass deine individuellen oder deines kleinen Häufleins Präferenzen völlig Wurscht waren. In der Dorfdisco und in Gasthäusern, die damals hauptsächlich von Wurlitzern beschallt wurden, empfand selbst unsereins ABBA fast als Wohltat zwischen all den Schlager-Grausigkeiten.
Irgendwann gegen Ende der 70er Jahre wandelte sich mein Zugang zu ABBA von negativ zu neutral bis schließlich eindeutig positiv. Komischerweise vollzog sich genau der gleiche Stimmungswandel bei den damals als seriös anerkannten Musikzeitschriften Musik Express und Sounds. Das lag hauptsächlich daran, dass jetzt Pop als Begriff und musikalische Kategorie, die bewusst Verständlichkeit und Universal-Appeal anstrebt, eine große Aufwertung erfahren hatte.
Agnetha Fältskog, Björn Ulvaeus, Benny Andersson und Anni-Frid Lyngstad, die sich 1982 als Band getrennt haben, nachdem zuvor schon Fältskog/Ulvaeus und Lyngstad/Andersson/ ihre privaten Paarläufe beendet hatten, waren nie mehr - und nie weniger - als Pop. Pop in all seiner Trivialität, seinem Eskapismus, seinen Marketing-Gimmicks - aber eben auch seinen emotionalen Qualitäten.
Das ist ihre Leistung und das gilt es anzuerkennen. Wo ich nicht ganz mitkann, ist, wenn ABBA als mit das Größte hingestellt werden, das dem Pop je passiert ist. Diese Deutung verweigere ich aus zwei Gründen: Zum einen hört man der Musik einfach überdeutlich das Ringen um Publikumsakzeptanz an. Das äußert sich zum Beispiel darin, dass die Rhythmusstrukturen fast immer ziemlich behäbig wirken - als sei man ängstlich darauf bedacht, nicht die Langsamsten auf der Strecke zu lassen und solchermaßen Leute zu verlieren. Abschreckend ist da etwa das Finish der ansonsten fast makellosen Ballade „Chiquitita“, das sich wie das Trampeln einer kollektiv fußkranken Elefantenherde anhört.
Zudem ist diese Musik öfters einmal überproduziert. Nehmen wir „Knowing Me, Knowing You“, den Epitaph für eine verglühte Liebe: Das Stück könnte eine ergreifende Elegie sein, würde es nicht von einer Panade aus Synthies, Stromliniengitarren und ein, zwei Hintergrundstimmen zu viel erstickt.
Und zweitens: Will man ABBA als die ultimative Größe des Pop darstellen, gilt es auch, sich von der Idee von Pop als Ort der Innovation zu verabschieden. Innovativ waren und sind bei Abba maximal die Marketingideen, deren jüngste darin besteht, dass sie nächstes Jahr für eine Konzertreihe in einer eigens dafür gebauten Location in London ihre jungen Avatare - begreiflicherweise allenthalten als „Abbatare“ verwortspielt - auf die Bühne schicken werden. Musikalisch haben sie indes nicht wirklich Maßstäbe gesetzt, wenn man dafür die Beatles oder meinetwegen Phil Spector, Motown, Chic oder… younameit als Referenzengrößen nimmt. Sie beherrschen einfach die Grundrechnungsarten des Pop: Fältskog und Lyngstad sind als Sängerinnen von keiner Aufgabe zu überfordern. Ulvaeus und Anderson verstehen sich als Komponisten auf melodische und - zumal als Nicht-Muttersprachler - auf durchaus interessante Texte; auch den Umgang mit musikalischen Produktionsmitteln muss ihnen niemand beibringen. Das alles ist nicht nichts. Eigentlich sogar eine ganze Menge. Warum also noch künstlich aufplustern?

 



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