Martin Blumenau, hier bei einer Tour durch den botanischen Garten beim Belvedere für die „Stadtpiraten" von WildUrb Martin Blumenau, hier bei einer Tour durch den botanischen Garten beim Belvedere für die „Stadtpiraten" von WildUrb
01 Aug
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Geistreich abweisend

Nein, er war kein Weltumarmer, der sich vor Herzlichkeit überschlug. Dafür ein scharfer, unbestechlicher Denker. Das zählt unendlich viel mehr. Erinnerungen an Martin Blumenau (1960 - 2021).

 

Wie ich in diesem Portal einmal geschrieben habe, haben mich veritable Selbstvorwürfe, fast Schuldgefühle, heimgesucht, erst mit einem dreiviertel Jahr Verspätung vom Tod des großen Schweizer Musikers Oliver Maurmann Kenntnis erhalten zu haben. Ob das unterschwellig schlechte Gewissen auch einem Verstoß gegen das journalistische Grundgebot - Du.Sollst.Nichts.Verpennen - geschuldet war? Ich weiß es nicht. Was ich sehr wohl weiß, ist, dass es andersrum noch schlimmer ist. Was Schlimmes quasi in Echtzeit zu erfahren. Ich saß gerade am Computer und schrieb, als oben die Leiste auf ein neues Mail aufmerksam machte: „FM4 trauert um Martin Blumenau.“
Ich unterbrach die Arbeit und rang mit Übelkeit.

Wie es der Zufall wollte, habe ich hier vor einer Woche Martin Blumenau erwähnt. Seine Schwester Evelyn B. ist Sängerin der verdienten, notorisch unterschätzten Band Novi Sad, die kürzlich eine ansehnliche neue Platte herausgebracht hat. Aus Skrupeln wegen Vettern- oder in dem Fall eher Geschwisterwirtschaft unterließ es Blumenau jahrelang, im Radio Propaganda für Novi Sad zu machen. Dabei hatte er eine Stimme, die gehört wurde. Nicht immer und überall mit Freude, aber sie zählte was.

Jeder, der in den 80er und 90er Jahren mit der sogenannten Subkultur zu tun hatte, wird irgendwann den Weg von Martin Blumenau gekreuzt haben. Unsere erste Begegnung fand gewissermaßen fernschriftlich statt. Und zwar in den Autorenzeilen eines profil-Artikels. Ich hatte 1986 anlässlich eines Auftritts von Elton John in der Wiener Stadthalle einen Text dorthin geschickt. Grundtenor der Geschichte war: ein ewig Taumelnder, der - Stichwort „I´m Still Standing“ - immer wieder auf die Füße gekommen ist. Seine Homosexualität verwarf ich lapidar als Gerücht.
Die Geschichte kam denn auch. Titel: „Vom Leid der Homos“. Gezeichnet: „Von Martin Blumenau und Bruno Jaschke“. Von meinem Text war nur mehr ein Bruchteil enthalten; offensichtlich hatte auch Blumenau einen Text geschickt, der Eltons Homosexualität nicht als Gerücht oder Nebengeräusch abtat, sondern belegbar als Lebensproblem erkannte und der akribrisch anhand vieler Beispiele auflistete, dass Schwule (damals, Mitte 80er) in der angeblich so liberalen Pop-Branche immer noch einen schweren Stand hatten. Beides stimmte, wie wir heute alle zweifelsfrei wissen.

In der AZ, die Ende 1989 eben nicht mehr Arbeiter Zeitung hieß, denn den Rucksack des Parteiorgans wollte sie loswerden, kamen wir in Persona zusammen. Die „neue“ AZ unter Chefredakteur Robert Hochner hatte ein Ressort etabliert, das unter dem Namen „Heute“ die in einem ziemlich weit gefassten Sinn kulturellen Veranstaltungen des jeweiligen Tages beschrieb. Blumenau leitete dabei, nona, die Sparte Pop, ich koordinierte die Oberösterreich- und Salzburg-Mutationen, die sich die AZ damals noch leistete. Ab und zu schrieb ich auch Pop-Beiträge.
Blumenau pflegte üblicherweise recht spät am Abend einzutrudeln und seine Beiträge zu verfassen. Das führte manchmal zu etwas Gemaule in der Produktion und Redaktion - aber wenn er fertig hatte, waren alle glücklich über seine pointiert und eigentümlich lakonisch ohne ein Milligramm (verbales) Fett geschriebenen Geschichten. „8 Gründe, Alice zu hassen“, führte er bei einem Wien-Konzert der nämlichen italienischen Sängerin ins Treffen. Er „protokollierte“ vor ihrem Stadion-Auftritt 1990 ein von Brian Jones autorisiertes internes Gipfeltreffen der Rolling Stones — die fiktiven „Brainstormings“ hiesiger Politiker bei Rainer Nikowitz sind dieser satirischen Form „vertraulicher Gespräche“ nicht ganz unähnlich -, holte John Lennons solistisches Schaffen vom Podest, porträtierte STS mit der vielbeschworenen kritischen Distanz. Zudem war er ein witziger Gesprächspartner - vor allem gefiel mir, dass er sich eben nicht herzlich, überschwänglich, entgegenkommend gab, sondern oft sarkastisch, ironisch, bisweilen spröde, manchmal auch glattweg zynisch. Ich würde sagen, Blumenau hielt sich Menschen geistreich auf Distanz. Manchmal hat ihn in der AZ Angelika Lang, mit der er damals liiert war, besucht; einmal hatte er an der Hand böse Kratzwunden, die angeblich von Katzen stammten - viel mehr Privates war über ihn nicht rauszukriegen.

Blumenau hatte vorher schon im Kurier über Pop geschrieben und es da geschafft, auf klaustrophobisch engem Raum neue, interessante, aufregende Künstler wesenhaft und anschaulich vor- und darzustellen. Sein eigentliches Medium war jedoch das Radio. Als Moderator der „Musicbox“ und des „Nachtexpress“ auf Ö3 prägte er neben Werner Geier und Walter Gröbchen (und natürlich auch Fritz Ostermayer oder etwas vorher noch Wolfgang Kos oder Günter Brödl) die musikalische Sozialisation mehrerer Generationen. Nebenher war er Redakteur für die Jugendsendung „Zickzack“, werkte beim „Rotweißroten Radio“ und moderierte hin und wieder „Diagonal“ auf Ö1.
Es war naheliegend, dass er zu den tragenden Kräften zählte, als der damalige Radiointendant Gerhard Weis einen Sender über und für die Jugendkultur im ORF implementierte, um die Cashcow Ö3 von Allem, was sogenannte Abschaltimpulse auslösen mochte, zu befreien und konsequent auf Formatradio umzutrimmen. So baute Blumenau mit Mischa Zickler und Angelika Lang, mit der er zu dieser Zeit privat nicht mehr verbandelt war, FM4 auf, das im Jänner 1995 den Betrieb aufnahm. Wie er mit Fortdauer mehr kommunikative und koordinative Aufgaben hinter den Kulissen übernahm, war er seltener am Mikro. Er moderierte noch die Talk-Sendung „Bonustrack“, wo er in schwindelerregender Abfolge vom Ekel zum Psychiater/Seelentröster und retour ad infinitum mutieren konnte. Über die Jahre veränderten sich indes Anmutung und Charakter der Sendung, die sich zunehmend zur Plattform für unaufgeregte und gerade deshalb hochinteressante Gespräche mit kulturell oder publizistisch bedeutsamen Menschen wie Dossier-Redakteurin Sahel Zarinfard, Danger Dan und Panik Panzer von der umstrittenen Antilopen Gang oder Kontrast-Chefin Patricia Huber verwandelte. Zahlreiche Episoden kann man nachhören. Daneben erfüllte er Hörerwünsche im „Zimmerservice“ und befleißigte sich dabei eines mit den Jahren zunehmend schludrigen Moderationsstils, der deutlich erkennen ließ, dass er nicht mehr viel gab, das er ernst nehmen konnte: Leierte die Texte aus Wunschbriefen/-mails ausdruckslos herunter, überbrückte Passagen nach dem Motto eh-klar-was-jetzt-für-Scheiß-kommt mit kürzelhafter Stammelsprache, fuhr dazwischen mal unmotiviert die Stimme hoch und beendete solche Rezitationen gerne in getragenem Tonfall, der unendliche Ermüdung simulierte, solchermaßen auch formal zum Ausdruck bringend, wie sehr ihn Dummheit, Borniertheit und insbesondere Klischees anödeten.

macbloomGanz anders, nämlich präzis, wortgewaltig, durchdacht waren dann seine Blogs auf der Webseite von FM4. Eigentlich waren die, wie Manfred Klimek in einem anrührenden Nachruf auf Blumenau in der Wiener Zeitung schreibt, sein Feuilleton. Er schrieb viel über Jugendkultur, Kultur im Allgemeinen, Wirtschaft, Gesellschaftpolitik. Vor allem aber über Fußball.
Natürlich war Martin Blumenau (im Bild rechts bei einem „Sport am Sonntag", 2011) einer der sprichwörtlichen 9 Millionen Teamchefs in Österreich. Von den anderen unterschied ihn halt, dass seine Analysen, Ein- und Ansichten messerscharf durchdacht, konzise und, naturgemäß um den Preis der Auslassung kleinlicher Gegenargumente, in sich hundertprozentig schlüssig waren. „Mit dem Engagement des limitierten und falsch platzierten Coaches Franco Foda wollte sich der ÖFB das Problem mit der Teilnahme bei einer WM im Schurkenstaat (Katar, Anm.) elegant vom Hals schaffen“, schrieb er nach der 0:4-Klatsche gegen Dänemark in der WM-Quali - „die einzige These, die die Verpflichtung von Franco Foda als sinnvollen Akt erklären könnte“. 
Schon in der AZ war seine gewaltige, manchem sogar abartig erscheinende Fußball-Expertise aufgefallen: Er sammelte Tabellen und Statistiken aus allen Ligen aus aller Herren Länder, kannte alle möglichen und unmöglichen taktischen Varianten und Aufstellungen. Interessant eigentlich, dass er sich, auch in vielen anderen Sparten firm, nie als Sportjournalist versucht hat. Leider nie gefragt.

Nach der AZ liefen wir uns noch öfter bei Konzerten über den Weg. Einmal rief er mich an und ersuchte mich, eine Kurzkritik für das rotweißrote Radio zu fertigen. Ich sagte zu, obwohl ich zunächst nicht einmal wusste, was ich denn kritisieren sollte/wollte und dann im Rave up Beratung einholen musste (ich entschied mich für MG Firebugs, falls das jemanden interessiert). Als ich dann leicht verkatert und etwas eingeschüchtert ob all der Technik im Studio meinen Beitrag einsprach, erlebte ich einen beruhigenden, unglaublich souveränen Blumenau und obwohl ich mich etliche Male verhaute, war das Ganze in weniger als 10 Minuten fertig. Blumenau war da irgendwie ganz anders als in der AZ-Redaktion, wo man oft das Gefühl hatte, er sei - vielleicht auch un- oder halbbewusst - im Abwehrmodus. Man könnte da auf die Idee kommen, die Phrase „Radio war seine (wirkliche) Welt“ zu bemühen - wie aber oben gezeigt, war das Schreiben das ebenso.
Sehr gerne erinnere ich mich auch an seine launigen Anmoderationen jener schönen Events im Radiokulturhaus, zu denen nur Journalisten, geladene Gäste und ausgeloste FM4-Hörer dürfen. Manchmal irritierten seine Ansprachen sogar die Musiker. Bei Calexico stieg er ein mit einem eigenartigen Rekurs auf jenen Jojo aus dem Beatles-Hit „Get Back“, der sein Zuhause in Tuscon, Arizona (wo Calexico herkommen) verlässt, aber in Kalifornien nicht wirklich Wurzeln schlagen kann und zurückkommt. Ich weiß nicht, was er damit sagen wollte - dass der Wüstenraum so prägt, dass man anderswo nicht zurechtkommt? Calexico-Kopf Joey Burns verstand es, obwohl durchaus passabel deutschkundig, auch nicht. „Was war dieses komische Jojo-Ding?“ fragte er mich tags darauf beim Interview im Fürstenhof, als wir auf das Konzert zu sprechen kamen.
Element Of Crime stellte er quintessenziell so vor, dass sie eigentlich nicht Rock seien. Da war klar, wie´s gemeint war, denn diese Aussage hört man im Zusammenhang mit EOC oft und gerne und sie meint prinzipiell: „Mehr als nur Rock.“ Sänger Sven Regener aber sagte, noch ehe die Band den ersten Ton angestimmt hatte: „Na, ich weiß nicht, wie man 2 Gitarren Bass Schlagzeug anders nennt als Rock?“ Bei Gesprächen mit Regener, der bekanntlich auch ein sehr erfolgreicher und von der Kritik wohlgelittener Autor ist, habe ich den Eindruck gewonnen, dass er etwas empfindlich gegen allfällige Herabwürdigungen seines Metiers als Populärmusiker ist.
Bei einer dieser Veranstaltungen im Radiokulturhaus dürfte ich auch, irgendwann Anfang der Zehner-Jahre, das letzte mal mit Martin Blumenau gesprochen haben, um ihm zu danken, dass er eine Geschichte von mir in der Wiener Zeitung positiv in seinem Text über Eva Menasse auf der FM4-Webseite erwähnt hatte. Irgendwann machte er via Twitter auf einen neuen Mitbewohner aufmerksam, später sah ich ihn aus der Ferne mit Nachwuchs und Anhang in der Bunkerei im Augarten.
Dass jetzt ihn, der meines Wissens nach nie geraucht und keinen oder kaum Alkohol getrunken hat, der Krebs heimgeholt hat, ist eine dieser nicht zu packenden absurden Ungerechtigkeiten des Schicksals. „Life is good, but not fair at all“, wie es Lou Reed auf seiner letzten genuin guten LP „Magic and Loss“ gesagt hatte.

 

Hier ein weiterer schöner Nachruf von Robert Rotifer

Und hier erweist, bemerkenswert unsentimental, Walter Gröbchen seine Referenz

 



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