Verkehrte Welt Pixabay
28 Okt
geschrieben von 

Verkehrte Welt

Es ist erstaunlich, was ein paar Monate anrichten können. Zuerst musste Ibiza verdaut, dann mit einer „Beamtenregierung“ Ruhe und Zuversicht dem Lande zurückgegeben werden. Schließlich trat eine Regierung in neuer Farbenmixtur an. Sicherlich ging diese Manche gegen den Strich, andere zeigten sich skeptisch, dass dieses Projekt mehr als einen Monat überstehen könnte. Doch im Großen und Ganzen deutete sich eine gewisse Rückkehr zur Normalität an. Keine brachiale Sprache mehr, keine rassistischen Ausfälle, so zumindest die Hoffnung.
Doch dann kam – eh schon wissen. Was dann passierte: Angst, Panik und vor allem: ein sehr monothematisches Jahr. Dahinter allerdings setzten sich Dinge in Gang, drehten sich Rädchen – man möchte fast sagen – zurück, und plötzlich stehen Themen an der Tagesordnung, über die man vor einem Jahr noch den Kopf geschüttelt hätte.

Da ist zum Beispiel die SPÖ Wien. Das SP steht immer noch für zumindest Sozialdemokratische Partei. Jene Bewegung, die für Arbeiterrechte eintrat. Den Acht-Stunden-Tag ermöglichte. Umsetzte, dass auch Arbeiter in halbwegs wohnlichen Unterkünften leben konnten. Nicht nur das Recht auf Freizeit, sondern auch die Möglichkeit, diese mit Sport, Bewegung oder Hobbys auszufüllen, geschaffen hat. Die ein soziales System installiert hat. Diese will sich nun mit den Neos zusammentun. Die nicht nur für weniger Bürokratie, sondern vor allem für mehr Markt eintreten. Denen zu viele Regeln im Wege stehen. Die für das „Leistungsprinzip“ plädieren. Irgendeine von den beiden Parteien, drängt sich der Gedanke auf, hat offenbar seine Tradition über Bord geschmissen. Macht nicnhts, so der Medienchor. Hauptsache liberal. Dass sich das ausgehen könnte, dazu braucht es schon viel Fantasie.
Doch die „Liberalen“ und „Toleranten“ geben derzeit ohnehin viel Rätsel auf. Mit Verve und Inbrunst stimmen sie in den von der Regierung orchestrierten Chor ein und ziehen über die „Unvernünftigen“, die „Party People“, die „Jugend“ her, die auf nichts verzichten wollen. Jede verschobene Maske zieht einen Rattenschwanz an Zurechtweisungen und Besserwissereien nach sich. Jeder Infizierte sei selbst schuld, hat er vorher doch wohl zuviel gefeiert, so schwingt der Unterton. Und natürlich sind alle diese daran schuld, dass der Wintertourismus heuer ausfällt. Der Außenminister, Regierungsbeamte – alles unverantwortliche Menschen, die das Feiern nicht lassen können. Obwohl – die kommen noch damit zurecht. Doch viele andere, die es erwischt hat – so, wie es jeden erwischen kann – sehen sich nun plötzlich ganz real Verachtung, Gehässigkeiten und Anfeindungen gegenüber. Dabei reicht ein Blick nach Europa, um festzustellen – es ist überall dasselbe. Wie diszipliniert das Volk auch sei, wie radikal die Maßnahmen auch gesetzt würden. Die Entwicklung kennt derzeit nur eine Richtung. Unter der Schale der Vorzeigeliberalen bleiben schließlich gealterte Misanthropen, die bequemerweise die Jugend verantwortlich machen und ihr das Leben vorschreiben wollen.
Und jetzt kommt die nächste Ungeheuerlichkeit: Setzte man einem Innenminister Kickl noch mit aller Kraft die Stirn entgegen, auf dass die Polizeibefugnisse auf dem Boden des Rechtsstaates blieben und die Überwachungsgelüste hintangehalten würden, gilt das nun nicht mehr. Nun sind es dieselben Akteure und nicht einmal der Innenminister, die radikale Eingriffe in das Privatleben fordern. Die in ihren „liberalen“ Gazetten „Experten“ darüber diskutieren lassen, wie man denn der Polizei ermöglichen könne, auf Haustüren und Privatsphäre keine Rücksicht mehr zu nehmen und Zusammenkünfte in den eigenen vier Wänden zu ahnden. Erstaunlich immerhin. Dass sich genug „Ikonen“ des heimischen Journalismus finden, die mit einer derartigen Lust gemeinsam mit den Regierungsspitzen auf die Bevölkerung eindreschen. Statt die vor dem Druck und dem Abwälzen der Ohnmacht der Regierenden in Schutz zu nehmen.