Es gibt ein paar nervige Komponenten an Twitter. Da ist zum einen dieser anmaßende Gestus gegenüber allem, was ideologisch, ideel oder ästhetisch in irgendeiner Weise nach „gemeinem Volk“ riecht. Als aus irgendeinem Grund einmal die zu Recht populäre TV-Krimi-Serie „Die Rosenheim-Cops“ thematisiert wurde, überschlugen sich Heerscharen von Scharfrichtern in offensichtlich cineastischer Mission vor dummen Schmähungen. Das war - zum anderen - ungefähr so überraschend wie das alljährliche Chaos auf den Straßen beim ersten Schneefall: Unberechenbar, verblüffend, neue Perspektiven eröffnend sind die Ein- und Ansichten der Twitteria nun wirklich nicht.
Es GIBT ein Empörium auf Twitter: Jeder reaktionäre, nicht einmal das Ignorieren werte Furz, den irgendein als öffentlicher Funktionsträger verkappter Hochstapler absondert, darf mit tausendstimmigem Schmerzensgeheul der Twitteria rechnen.
Es GIBT die Blase: Die Twitteria schmort im eigenen Saft und liebt es, sich gegenseitig ihrer Superiorität zu versichern. Twitter ist ein Inzuchtverein, in Österreich mickrige 160.000 User stark, von denen vielleicht 50.000 regelmäßig aktiv sind. Und der Einfluss dieser Blase auf die politische Meinungsbildung im Lande steht in einem maximal verkehrt proportionalen Verhältnis zu ihrer Überheblichkeit. Ich glaube, es war Heute-Chefredakteur Christian Nusser, der sinngemäß empfohlen hat, man nehme die Stimmungslage auf Twitter und finde in deren Gegenteil die Mehrheitspräferenzen in Österreich.
Dennoch ist mir Twitter beim Sie-wissen-schon-was lieber als alle anderen Sozialen Netzwerke. Zum einen, weil es hier nicht so sehr um persönliche Befindlichkeiten geht. Wer gerne mitteilen möchte, wie sie/er aufgestanden ist und geschissen hat, wird bei Twitter eher nicht reüssieren. Und oft wird, wer von Facebook tausende Jubelkommentare für seine Postings gewohnt ist, sich wundern, wie wenig Resonanz er bei Twitter findet. Viele haben´s kurz versucht und sich frustriert von diesem Kanal abgewandt. Twitter bedeutet - zu einem gewissen Grad jedenfalls - Denk-Arbeit. Ist somit kein natürliches Habitat für Dumpfbacken, kein gutes jedenfalls. Nicht zufällig gilt - in Österreich, wohlgemerkt - die Faustregel: Je weiter rechts, desto weniger Twitter.
Armin Wolf hat einmal als Gast einer Presseveranstaltung der APA geäußert, dass Twitter für ihn die Nachrichtenagenturen abgelöst hätte. Das fand ich damals - ich weiß nicht mehr wann, 2013?, -14?, -15? - übertrieben; genauer gesagt: ich verstand nicht, was er damit meinte. Heute verstehe ich. Auch wenn ich persönlich Twitter eher als eine (idealerweise) hochklassige Ergänzung zu den Angeboten der Nachrichtendienste und nicht so sehr als Alternative dazu sehe.
Der Bäcker Christoph Chorherr hat kürzlich, hier orthographisch korrekt unkorrekt zitiert, recht schön auf den Punkt gebracht, was man an dem Vogerl hat: „Ein Hauptgrund auf twitter zu bleiben: Auf Artikel wie diesen hingewiesen zu werden. Bekäme ich sonst nie zu sehen.“ (By the way: Der empfohlene Artikel über das Abdanken der USA als globale Führungsmacht lohnt tatsächlich. Falls Sie denn die Zeit haben blablabla).
In den USA ist Twitter richtig groß. Es ist dort auch nicht die mehr oder weniger exklusive Spielwiese von mehr oder weniger linksgerichteten Kräften. Dort zwitschern auch rechte Hirnödeln ohne Unterlass. Wir kennen da einen. Sitzt in der Hauptstadt Washington DC in einem weißen Gebäude unter einem Kuppeldach. In letzter Zeit schimpft er ziemlich viel auf Twitter, weil dort regelmäßig seine Botschaften mit Korrekturen verziert werden. Seinen Sohn haben sie wegen Verbreitung gefährlicher Miss-Information sogar vorübergehend gesperrt: Twitter hat tatsächlich Einiges getan, um einen von falschen Behauptungen, aggressiver Rhetorik und grenzenloser Dummheit geprägten Diskurs in halbwegs zivilisierte Bahnen zu lenken.
Für den Star-Journalisten Michael Barbaro, der übrigens ein wenig wie ein etwas jüngerer André Heller aussieht, ist es noch nicht genug. Daher hat er letzten Freitag für den gnadenlos guten „The Daily“-Podcast der New York Times Twitter-Chef Jack Dorsey ins Gebet genommen. „Jack Dorsey on Twitters Mistakes“ ist das ungefähr 40minütige Gespräch frank und frei betitelt. Der Einstieg scheint zunächst nichts besonders Gutes zu verheißen, denn wie seinesgleichen (Zuckerberg, Bezos & Co) spielt Dorsey seine Macht herunter. Alles was Twitter mächtig mache, liege in den Händen und Köpfen seiner User, will er uns weismachen.
Aber im Unterschied zu Zuckerberg hat Dorsey nach den US-Wahlen 2016, die Donald Trump unter weitgehender Umgehung der herkömmlichen Medien nicht zuletzt durch beispiellose Rattenfängerpropaganda auf Twitter gewann, Handlungsbedarf gesehen und Fehler eingeräumt. Mangels bestimmter Qualifikationen, die das Unternehmen befähigt hätten, die Auswirkungen scheinbar kleiner Entscheidungsschritte abzusehen, habe man in den frühen Tagen Sensationalismus und die Jagd nach Klicks, Likes und Retweets forciert. Auch sei man Einschüchterungen und Beleidigungen anfangs zu wenig entgegengetreten. Allerdings wendet Dorsey ein, dass es Beschimpfungen und Schmähungen im Internet seit jeher gegeben habe.
Im Gespräch mit Barbaro überlegt Dorsey laut, das Funktionieren der Algorithmen offenzulegen - möglicherweise sogar Menschen zu befähigen, ihre eigenen Algorithmen zu wählen oder zu kreieren, um ihre Nachrichten zu gewichten. Solche Transparenz wäre, ist nicht nur er überzeugt, unter den Sozialen Netzwerken einzigartig.
Derzeit ist in den Twitter-„Laboratorien“ eine Funktion im Teststadium, die einen Hinweis ausschickt, falls jemand einen Artikel retweeten will, den sie/er gar nicht geöffnet hat und somit auch nicht gelesen haben kann. „So etwas kann Leute unwissentlich zu Komplizen bei der Verbreitung von Falsch-Information machen. Manche tun das vorsätzlich, aber viele sehen nur eine Headline und schon bringen sie es in Umlauf.“
Weiters experimentiert das Unternehmen mit Möglichkeiten, die Schlagseite von Tweets abzuschwächen: „Für jeden besonderen Artikel, der geteilt wird, könnte man einen weiteren sichtbar machen, der einen ähnlichen Standpunkt vertritt, einen weiteren, der etwas anders ist, und einen weiteren, der komplett anders ist. So könnten wir einige der Blasen durchstechen, die wir unabsichtlich kreiert haben.“
Für eine noch nicht bezeichnete, aber nicht mehr endlos ferne Zukunft träumt Dorsey von der Globalisierung der Twitter-Konversationen per Echtzeit-Übersetzungen. Bisher, so erklärt der 43jährige, in St. Louis geborene und aus einem sehr konservativen Elternhaus stammende Unterstützer der Demokraten, habe man drei basische Weltsprachen können müssen, um sich international Gehör zu verschaffen: Englisch, Spanisch, Mandarin. „Jetzt machen die Möglichkeiten von Übersetzungstechnologien eine Zukunft realistisch vorstellbar, dass ich mich auf Twitter in meinem eigenen Dialekt ausdrücken kann und jeder in der Welt versteht mich im Augenblick. Es ist wichtig, dass mehr Leute eine Stimme bekommen.“