Lacht sie ins Abseits Coffee / Pixabay
12 Jun
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Lacht sie ins Abseits

Irgendwann Ende der 90er Jahre wälzte ich die Idee, eine Geschichte über die Psyche von Verschwörungsphantasten zu schreiben. Nie gemacht. Blöd gelaufen.

Zu den wenigen Privilegien eines freien Journalisten gehört es, Themen lancieren zu können. Ist natürlich angestellten Journalisten auch erlaubt, aber die machen wegen Überlastung eher mäßig davon Gebrauch und sind froh, wenn sie ihr Pflichtpensum durchkriegen. Möglicherweise hat auch nicht jeder mit diesem Privileg, das zwangsläufig eigene Gedankenarbeit voraussetzt, seine reine und lautere Freude: Mental nicht so rasend agile Zeitgenossen mögen es sogar als Bürde empfinden. Und natürlich braucht es für den „Fruchtgenuss“ auch einen verständigen Abnehmer. 

Ich habe es, was das angeht, meist gut erwischt. Mit einem Partner - der zurecht sehr angesehenen Wiener Zeitung - verbindet mich schon eine jahrzahntelange gedeihliche Zusammenarbeit. Ich fand dort stets ein offenes Ohr für Themenvorschäge - auch ausgefallene. Ganz ehrlich gesagt, kann ich mich gar nicht mehr erinnern, wann - und ob überhaupt - ein Thema von mir dort abgelehnt worden ist.

Trotzdem - eine Geschichte habe ich nie gemacht. Konnte ich auch nicht, weil ich sie gar nie vorgeschlagen habe. Und dieses Versäumnis verfolgt mich in Zeiten wie diesen fast wie ein Trauma.
Irgendwann gegen Ende der 1990er Jahre ging ich mit der Idee schwanger, die psychische und geistige Disposition von Verschwörungsphantasten - den Terminus „Theoretiker“ billige ich dieser Brut einfach nicht zu - zu untersuchen und aufzudröseln. Das hatte den Grund, dass ich damals an allen Ecken und Enden auf Geistesblitze traf, die von einem „Mordkomplott“ der Windsors gegen Lady Di faselten, die Mondlandung als Ami-Fake „entlarvten“ und alle möglichen und unmöglichen Halluzinationen von Welteroberungsplänen jüdischer Netzwerke verzapften.
Das Wort „Verschwörungstheorien“ war damals noch nicht so omnipräsent wie heute. Sein Erweckungserlebnis, wenn man das so sagen darf, kam wohl mit 9/11 - insbesondere mit der Geschichte von den 4000 Juden, die sich am 11. September 2001 nicht zur Arbeit im World Trade Center eingefunden hätten. Jetzt haben wir Bill Gates und 5G, morgen wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Verschwörungsphantasien haben sich - wie das Virus, das ihre Verbreitung und Vervielfältigung befeuert hat - zur Pandemie ausgewachsen.

Ich habe die Story über die Psyche von Verschwörungsphantasten, wie gesagt, nie gemacht. Gestraft mit einem veritablen sozialen Defizit an Kommunikationsgeschick und unselig begabt mit der Antizipation von dessen Folgen habe ich die unendliche Mühsal bei der Recherche gefürchtet. Nicht das Recherchieren per se, sondern die Vorstellung, wie das erste Abtasten zwischen mir und den expertisen Gesprächspartnern ablaufen würde:
„Guten Tag… ich möchte eine Geschichte machen über die Psyche von Verschwörungsphantasten …“
„Aha… was genau meinen Sie damit?“
„Ja, also… warum diese Leute … also … solche Dinge …“
„Ich fürchte, ich verstehe nicht, was Sie meinen…“
Die Tonalität solcher Gesprächsabläufe - die, so bin ich heute noch überzeugt, auch tatsächlich so stattgefunden hätten - im Kopf, erfasste mich immer gleich überwältigende Müdigkeit. In so einem Zustand lässt man sich auch gerne von einem vagen Gefühl überzeugen, dass man sowieso gerade an der Kippe zur Überlastung steht.

Blöd gelaufen, nicht? Denn jetzt beschäftigen sich Legionen von Psychologen, Medienexperten und sogar Philosophen mit Verschwörungsphantasten und ihren Motiven, Scheiße zu verzapfen. Unterschiedlichste Erklärungsmodelle sagen, Verschwörungsphantasten litten an diffusen Ängsten, hätten ein simples Weltbild, seien Besessene in eigener Mission, fühlten sich vom „Staat“ verarscht, von Macht-Netzwerken ausgetrickst, von Eliten in die Anonymität verdrängt. Fühlen sich austauschbar.
Demgegenüber propagiert der Zeitgeist aber Individualität, Unverwechselbarkeit, Einzigartigkeit. Der deutsche Soziologe Andreas Reckwitz konstatiert sehr zutreffend eine „Gesellschaft der Singularitäten“. Dass diesem Soziotop ein gedeihliches Geschäftsmodell in Form der „Ich-AG“ entwachsen ist, fügt sich nur zu gut ins Bild.
Das Internet und insbesondere die Sozialen Medien gewähren heute jedem die Möglichkeit, sich in Szene zu setzen. Und allen Hirnödeln, die sich eher nicht der Mühe unterziehen wollen, sich durch kulturelle, sportliche, wirtschaftliche, wissenschaftliche oder humanitäre Großtaten aus der Masse abzuheben, bietet das Verbreiten von Verschwörungsphantasien über Facebook, Instagram & Co einen schnellen Weg dazu.
In gleichermaßen gut gemeinten wie vertrottelten Appellen, „diese Menschen zu verstehen“, ernstzunehmen, nistet auch schon der Kardinalfehler im Umgang mit ihnen: ES WIRD DIESEN DUMPFNÜSSEN BEDEUTUNG EINGERÄUMT. Ich glaube übrigens gar nicht, dass sie in der Mehrzahl wirklich bedingungslos glauben, was sie verzapfen. ZUALLERERST WOLLEN SIE SICH WICHTIG MACHEN. Gerieren sich als Durchblicker, „wissen“ die „wahren Hintergründe“ und was die „Mainstream Medien“ (vorsätzlich) „verschweigen“. Erst wenn sie damit, wie das schon mal vorkommen kann, Spott und Hohn heimfahren, verbeißen sie sich - jetzt erst recht! - in ihren Gedankenmüll. Und schon stehen rechtspopulistische Politiker und ihre Schergen in diversen Medien Gewehr bei Fuß, um sie „abzuholen“ und ihre krausen Phantasmen zu kapern. Da hilft nur eins: Lacht sie ins Abseits. Und lasst sie dort weitergeifern, bis ihnen die Luft ausgeht.