Das ist sozusagen Karl Nehammer Das ist sozusagen Karl Nehammer Screenshot
20 Apr
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Ein Seuchenvirus namens SOZUSAGEN

Ein Hecken-Ausdruck wuchert pandemisch. Weil man ja derzeit nix Genaueres nicht sagen kann.

Professor Bernhard Haas, ein Grazer Infektionsspezialist, der regelmäßig im übrigens sehr guten und von Sonja Krause genuin rundfunktauglich moderierten Coronavirus-Podcast der Kleinen Zeitung zu Wort kommt, ist ein verdienstvoller, gescheiter Mann, der die vielfältigen Facetten der Pandemie schlüssig zu erklären vermag. Ob auch verständlich, trau ich mich allerdings nicht zu sagen. Denn seine Statements sind inflationär vom Wort „sozusagen“ durchdrungen, fast hätte ich geschrieben durchseucht, und jetzt ist nicht ganz klar, was Prof. Haas uns damit sagen will. Im Podcast vom 17.4. beantwortet er die Frage eines älteren Ehepaars, ob die Putzfrau ins Haus darf: „Es gilt, dass man mit jeder Art von sozialem Kontakt, den man aufnimmt (…), sich doch einem gewissen Restrisiko aussetzt, mit dem Virus in Kontakt zu kommen und sich SOZUSAGEN mit dem Virus anzustecken. Das ist SOZUSAGEN bei jedem sozialen Kontakt nicht auszuschließen und es bleibt ein Restrisiko. Mit all den Maßnahmen, die jetzt schon verordnet worden sind - Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, häufiges Händewaschen, nicht ins Gesicht fassen SOZUSAGEN und auch die Abstandsregeln - kann man natürlich die Übertragung minimieren. Bei der Beantwortung dieser Frage ist also darauf einzugehen, wie wichtig ist es diesen beiden Menschen, dass SOZUSAGEN jemand ins Haus kommt?“

Nun frag ich mich: WAS JETZT? Kann ich mich bei einem sozialen Kontakt mit dem Coronavirus anstecken oder nicht? Steck ich mich nur sprichwörtlich an? Oder ungefähr? Quasi? Und wie geht´s mir dann, wenn ich SOZUSAGEN angesteckt bin? Und wie geht das, sich SOZUSAGEN ins Gesicht zu fahren? Ein bisserl mit den Händen davor herumfuchteln? Nur bis zum Kinn langen? Und wie kommt die Putzkraft SOZUSAGEN ins Haus? Bleibt sie mit einem Fuß draußen und steht mit einem drinnen? Oder mit drei Vierteln drinnen, einem Viertel draußen?
Fragen über Fragen.

Ich will nicht die Intelligenz der p.t. Leserschaft beleidigen, halte aber für angezeigt, zu klären, was das Wort „sozusagen“ bedeutet und vermittelt. Per definitionem kennzeichnet es eine Aussage als relativ. Wenn etwas SOZUSAGEN ist, dann ist die dahinterstehende Prämisse nicht für voll zu nehmen. Phänomenologisch ist der Term ein Füllwort, genauer gesagt ein Hecken-Ausdruck: Eine Verlegenheitsvokabel, mit der sich jemand - naturgemäß meist in der mündlichen Rede - dagegen abzusichern versucht, etwas Falsches oder einen Quatsch zu sagen, also metaphorisch hinter einer Hecke Deckung bezieht. Es geht ergo darum, Unwahrheiten oder Quatsch SOZUSAGEN sprachlich zu desinfizieren. Ein Fluchtpunkt für Feiglinge - solchermaßen extrem beliebt in der Politik.

Richtig aufgefallen war mir die SOZUSAGEN-Pandemie im vergangenen Wahlkampf, der noch nicht einmal annähernd ein Jahr her ist, aber jetzt schon wie ein dunkler Schatten aus grauer Vorzeit anmutet. Karl Nehammer, damals Generalsekretär der ÖVP, gebühren Pionier-Meriten bei der rasenden Verbreitung des S-Wortes: „Wir haben versucht, die Ölkessel zu reduzieren und auch da neues Denken zu forcieren SOZUSAGEN durch Förderungen.“ „Was Christiane Hörbiger in ihrem Video angesprochen hat, war (...) die Stimmung, die die Menschen erlebt haben, als Rot-Blau damals den Misstrauensantrag im Parlament eingebracht haben und Sebastian Kurz SOZUSAGEN niedergestimmt haben im Parlament.“

... und irgendwann war SOZUSAGEN buchstäblich in aller Munde. Auch in jenem, aus dem die realpolitisch höchste Macht im Staate spricht. „Das war nur eine SOZUSAGEN sehr überblicksartige Information“, hat Sebastian Kurz etwa in jüngerer Vergangenheit von sich gegeben. Übrigens nicht zur Corona-Krise, sondern sein SOZUSAGEN nicht wirklich von Zuneigung geprägtes Verhältnis zur Staatsanwaltschaft.