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16 Apr
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Die Gunst der Stunde nützen

In den Nachrichten kann viel Werbewert liegen. Man muss ihn nur erkennen, schnell reagieren und eine gute Idee haben. Eben hat IKEA vorgeführt, wie Newsjacking geht.





„Die Höhle der Löwen“, gemeinhin DHDL abgekürzt, ist (auf VOX) in Deutschland das, was in Österreich das ebenfalls im Jahr 2013 gestartete und genauso von der britischen Show „Dragons´ Den“ geklaute „Zwei Minuten, zwei Millionen“ auf Puls 4 ist: Reality-TV, in dem Start-ups bei prominenten Investoren um Kapital für ihre Geschäftsideen und Produkte werben. Unlängst präsentierten dort zwei Männer den sogenannten „Pinky Glove“: Einen pinken Handschuh, dessen Zweck es ist, Tampons und Binden äh… herauszufischen, einzupacken und zu entsorgen - ähnlich den Gacki-Sackerln für Hunde also. Die „Sinnhaftigkeit“ der Idee begründen die Erfinder – Überraschung: beides Männer - mit dem Argument, dies sei „hygienischer“ und „geruchsfreundlicher“. Sie fanden sogar tatsächlich einen Investor mit dem - fast wäre man versucht zu schreiben: dazupassenden - Namen Ralf Dümmel, Geschäftsführer des Handelsunternehmens DS-Produkte. Der Rest ist nicht schwer vorzustellen: Ein Shitstorm von der Stärke mehrere Orkane fegte als #Pinkygate über die Sozialen Medien. (Es muss erwähnt werden, dass sowohl die Unternehmer wie auch der Investor Fehler-Einsicht zeigten und sich entschuldigten).


Das ist hier aber nicht die Hauptsache. Sondern, wie der schwedische Möbelriese IKEA darauf reagiert: Er bewirbt auf Facebook und Twitter den hauseigenen Mülleimer in grüner Farbe mit dem Slogan „Ablage für Erfindungen, die keiner braucht.“ und setzt - buchstäblich - noch einen oben drauf, indem er dazu postet: „Und das Beste: Er lässt sich sogar ganz ohne Handschuhe bedienen.“ „Ein hervorragendes Beispiel für gekonntes #newsjacking", akklamiert die Soziologin, PR-Spezialistin, Journalistin und Podcasterin Julia „Yogi“ Breitkopf auf dem Business-Netzwerk Linked in.

Werbung in eigener Sache mit aktuellen Aufregern


Newsjacking - also in etwa: News kapern. Erfunden hat den Begriff David Meerman Scott, ein 60jähriger amerikanischer Marketing-Kapazunder. Bereits 2011 hat er in seinem Buch „Newsjacking: How to Inject your Ideas into a Breaking News Story and Generate Tons of Media Coverage“ vorgeführt, wie sich tagesaktuelle Aufreger für Werbung in eigener Sache nutzbar machen lassen.

Newsjacking ist am ehesten wohl mit Content Marketing vergleichbar; insbesondere, wenn es um fixe, regelmäßige, daher abseh- und planbare Ereignisse - etwa Wahlen, Weihnachten, sportliche Großveranstaltungen etc. - geht. Allerdings macht es in diesem Bereich nur bedingt Sinn, da es bei solchen Anlässen mit vielen, unterschiedlichen Werbemaßnahmen, mächtigen Marktteilnehmern und hohen Budgets zu konkurrieren hat und die Gefahr, im Marketinggetöse unterzugehen, groß ist. Wesentlich besser zur unterschwellig subversiven Aura des Newsjacking passt das unvorhergesehene Ereignis. Es passt zudem besser zur einer substanziellen Stärke dieser Disziplin, nämlich ihrer hohen Social-Media-Kompatibilität, die sich wiederum mit den hohen Verbreitungsgeschwindigkeiten in den Sozialen Netzwerken potenziert. Da es bei unvorhergesehenen Ereignissen schnell zu reagieren gilt, können nur einfache Maßnahmen ergriffen werden. Umso mehr kommt es daher auf gute Ideen an. Breitkopf vertraut dafür eher der Teamlösung als dem genialischen Einzeltreffer: „Check, re-check, double-check. Selten steckt hinter gelungenem Newsjacking eine einzelne Person, sondern ein Team, das gemeinsam sicherstellt, dass der richtige Ton getroffen wird.“ Mut und gute Nerven sind übrigens der Entscheidungsfindung auch nicht abträglich: „Newsjacking ist nichts für schwerfällige Organisationen, die es allen recht machen wollen. Nicht alle werden über den Gag lachen“, repliziert die Unternehmerin auf die IKEA-Kampagne.

Niederlande „umarmen“ Trump, DB Cargo im Suezkanal auf Schiene


Die vermutlich erfolgreichste Newsjacking-Kampagne gelang der niederländischen TV-Satire-Sendung „Zondag mit Lubach“ mit einem Video zum Amtsantritt Donald Trumps im Jänner 2017: Darin verarscht ein Sprecher mit Trumps Stimme und dessen Neigung zu Superlativen den US-Präsidenten - und auf raffinierte Weise auch das eigene Land. Über 70 Millionen Mal ist das Video, das unten angesehen werden kann, angeklickt worden und hat die Quoten der Sendung mit dem Comedian Arjen Lubach raketenhaft in die Höhe getrieben (trotzdem beendete Lubach gerade erst Ende März das Programm). Interessanterweise erweist sich der deutsche Bahn-Frächter DB-Cargo immer mal wieder als gewitzter Newsjacker. So brachte er unlängst das Debakel der Reederei Evergreen im Suezkanal auf Schiene; vor ungefähr einem halben Jahr machte er sich über den Deutschen Fußball-Bund (DFB) lustig. Newsjacking fährt Bahn - das wäre auch mal ein Slogan.

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