Samuel Stuhlpfarrer Samuel Stuhlpfarrer Christopher Glanzl / Tagebuch
17 Okt
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Ein Preis für Lesestrecken mit Nachdenkhürden ohne Werbeunterbrechungen

Das beschwerliche Wagnis einer Medien-Neugründung honorierte das Medienhaus Wien, in dem in der Ottakringer Brunnenpassage den Walther Rode-Preis 2022 an Tagebuch-Herausgeber Samuel Stuhlparrer verlieh.

 

Mut hat das Medienhaus Wien (MHW) bei der Wahl des diesjährigen Walther Rode-Preisträgers bewiesen. Wurden in den letzten fünf Jahren Mitarbeiter von mehr oder weniger große, etablierten Medienhäusern ausgezeichnet - 2017 die Redaktionen der ORF-Magazine „Hohes Haus" und „Report", 2018 Kurier-Karikaturist Michael Pammesberger, 2019 Tobias Pötzelsberger, Simone Stribl, Matthias Westhoff und Patrick Swanson vom Aktuellen Dienst des ORF, 2020 Standard-Datenjournalist Michael Matzenberger und 2021 Alexandra Wachter, heute ORF, für ihre Arbeit als Politik-Moderatorin und Redakteurin bei Puls 24 und Puls 4, so wurde heuer der Gründer und Chef eines neuen Unternehmens prämiert.
Nun ja, neu - das Magazin Tagebuch gibt es auch schon seit 2019, aber jeder, der einmal versucht hat, von Null auf ein Medium hochzuziehen, weiß, wieviel Knochenarbeit dahintersteckt und insbesondere, wie langwierig sich der Weg bis zu sowas Ähnlichem wie Marktreife gestaltet.
Zumal mit exakt 5.000 Euro Publizistik-Förderung jährlich. So viel bekommt das Tagebuch an Zuwendungen, wie Samuel Stuhlpfarrer - er ist der diesjährige Rode-Preisträger, BranchenBlatt diskret verriet. Die Haupteinnahmen kommen aus den Abos und Verkäufen des in einer Auflage von 5000 Stück zehnmal im Jahr in einer Stärke von rund 60 Seiten erscheinenden Magazins, ein bisschen was aus Inseraten.
„Warum prämieren wir in Zeiten multimedialer Übersättigung ein neues Medium? Haben wir nicht schon mehr als genug davon?" stellte denn Alfred Noll, der neben Andy Kaltenbrunner, Astrid Zimmermann und Matthias Karmasin zum vierköpfigen Gesellschafter des MHW gehört und mit Sonja Luef die Laudatio hielt, quasi-provokant zur Disposition. „Nein, haben wir nicht!" fing Luef, die wichtige Arbeit für die wissenschaftlichen Projekte des Hauses leistet, den Ball auf und rechnete vor, dass bei allem medialen Wind, der über die Jahre in diesem Land gemacht worden ist, die Zahl der Titel und journalistisch beschäftigten Arbeitskräfte kontinuierlich zurückgegangen ist. Noll wiederum hatte noch ein gewichtiges Argument für das Außenseiter-Medium, das sich der Solidarität mit den Ausgebeuteten und der Skepsis gegenüber Ausbeutern verschreiben hat, im Köcher: „Demokratie braucht Lesestrecken mit Nachdenkhürden ohne Werbeunterbrechungen."

Andy Kaltenbrunner, der Kopf des MHW, das mit seinen Journalisten-Reports und insbesondere peniblen Analysen des Inseraten-Unwesens in den letzten Jahren sogar die Regierung beschäftigt hat, fehlte an diesem Abend bei der Feier in der Brunnenpassage, weil seine Frau mit einer augenscheinlich schweren Corona-Erkrankung ins Spital musste - nicht nur physisch, sondern auch was den subtilen Witz seiner launigen Moderationen bei solchen Anlässen angeht. Immerhin meisterte „Einspringer" Matthias Karmasin seine Aufgabe recht tapfer.

Preisträger Samuel Stuhlpfarrer bekannte zunächst, dass ihn der Preis verlegen mache. Denn der prononciert linke, historisch gebildete Journalist, der früher in Zeitungen wie Neues Deutschland und Junge Welt gearbeitet hat, weiß, welche großen Fusstapfen ihm der Namenspatron Walther Rode hinterlassen hat: Trotz permanenter Berufsbehinderung und Drangsalierung im Ständestaat hat der österreichische Rechtsanwalt und Publizist (1876-1934), der 1928 in die Schweiz emigrieren musste und dessen Bücher und Schriften im Faschismus und unter den Nazis verboten waren, eisern an seinen pazifistischen, humanitären und sozialen idealen festgehalten. „Dass er den Ausbruch des 2. Weltkrieges nicht mehr miterleben musste, war wahrscheinlich noch das Beste in seinem Leben", bemerkte Stuhlparrer in seiner Dankesrede. Ungelegen kommt dem zweifachen Familienvater der mit 5.000 Euro prämierte - allein vom MHW gestiftete - Auszeichnung natürlich auch nicht wirklich: „Der Preis ist eine willkommene Anerkennung für einige mühevolle Jahre".