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Preisträgerin Duygu Özkan scheint Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein zu beschwören Preisträgerin Duygu Özkan scheint Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein zu beschwören Sozialministerium, Jaschke, Screenhot
11 Sep
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Die Sonntagsgeschichte vom Samstag

Der Papageno-Medienpreis wurde Freitag Abend im Presseclub Concordia an Duygu Özkan und - außerordentlicherweise - auch an Golli Marboe vergeben. Für Leistungen in einer schwierigen publizistischen Disziplin, der Suizidprävention.

In den frühen 1970er Jahren sind in Österreich per anno noch deutlich - ungefähr um ein Drittel - mehr Menschen im Straßenverkehr als durch Suizid verstorben. Heute sterben fast dreimal so viel Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle. Dabei ist die Suizidrate in Österreich seit Jahren rückläufig - nur eben bei weitem nicht in dem Ausmaß wie das bei den Verkehrstoten der Fall ist.
Die höchste Suizidgefährdung liegt anteilsmäßig im mittleren Lebensalter; in absoluten Zahlen aber steigt die Suizidhäufigkeit mit der Anzahl der Lebensjahre. Aber auch in jüngeren Altersgruppen ist die Gefährdung dramatisch - bei den 15- bis 29jährigen ist Suizid die zweithäufigste Todesursache. Frauen unternehmen mehr Suizidversuche als Männer - aber: Mehr als drei Viertel aller Suizidtoten sind Männer. Kärnten und die Steiermark sind die Bundesländer mit den höchsten Suizidzahlen; das östlichste (Burgenland) und das westlichste Bundesland (Vorarlberg) verzeichnen die niedrigsten.
Den Höchststand hat die Suizidrate in Österreich, nach einem permanenten Anstieg seit den 70ern, 1986 mit 2139 Toten erreicht. Seither ist die Zahl, in wechselnden Zyklen, mehr oder weniger stark zurückgegangen: Die Wirtschaftskrise 2008 ff etwa hat den Rückgang deutlich gehemmt/verlangsamt. Heute (Stand 2020) verzeichnet das Land eine Suizidrate von 1072 Personen. Immer noch - auch wenn das gegenüber 1986 einen relativen Rückgang von rund 60 Prozent bedeutet - 1072 zu viel.
Vor diesem Hintergrund ist vor drei Jahren der Papageno-Medienpreis ins Leben gerufen worden, nachdem der Presserat schon 2012 die suizidpräventive Berichterstattung in seinem Ehrenkodex verankert hatte. Er wird vergeben vom Gesundheitsministerium, der Österreichischen Gesellschaft für Suizidprävention (ÖGS), die Wiener Werkstätte für Suizidforschung sowie dem Verein Kriseninterventionszentrum, ist mit 5.000 Euro dotiert und zu einer renommierten publizistischen Auszeichnung geworden.

Bildschirmfoto 2021 09 11 um 12.53.58Man kann viel falsch machen in der Suizid-Berichterstattung. Angefangen bei der Wortwahl: „Selbstmord“ steht als diskriminierend auf dem Index. Desgleichen verbieten sich reißerische Headlines. Eigentlich. In manche Redaktionen - zum Beispiel eine in unmittelbarer Nachbarschaft von Akademie, Secession und Nachmarkt, die von einem kleinen, sehr dicken Mann, dem man ein cholerisches Gemüt und manches andere nachsagt, befehligt wird - hat sich das freilich noch nicht durch durchgesprochen.
Des weiteren sollen Vereinfachungen, Stierln in womöglich intimen Details, aber auch Romantisierungen oder gar Heroisierungen vermieden werden. Das sagt ein vom Kriseninterventionszentrum herausgegebener Leitfaden zur Suizid-Berichterstattung. Was gar nicht geht, sind Platzierungen auf der Titelseite.
Stattdessen wird um Einfühlsamkeit, Differenzierung und Respekt - vor dem Toten wie auch den Angehörigen - gebeten. Nach Auffassung der Jury hat dies die Presse-Journalistin Duygu Özkan für ihren in der Presse am Sonntag erschienenen Beitrag „Wenn das Leben dunkel wird“ 2020 am besten zustandegebracht.

Der Papageno Medienpreis wird vom Gesundheitsminister persönlich übergeben. Benannt ist er natürlich nach dem Vogelfänger aus Mozarts „Zauberflöte“, der aus Liebeskummer von suizidalen Anwandlungen heimgesucht wird. Diesem Umstand verdankte der gestrige Abend im Presseclub Concordia zwei eher unerwartete Höhepunkte: Eröffnet wurde die Preisverleihung durch die fünfköpfige Joseph Haydn Brass, die mit mitreissendem Schwung und Verve die Ouvertüre aus der „Zauberflöte“ spielte. Und mit der „Zauberflöte“ hatte auch ein Rekurs auf H.C. Artmann zu tun: Gernot Sonneck, Ehrenvorsitzender der Wiener Werkstätte für Suizidforschung, erinnerte daran, dass der Dichter, der heuer seinen 100. Geburtstag gefeuert hätte, in seinem legendären Erzählband „Im Schatten der Burenwurst“ auch das Papageno-Thema behandelt hat - „Grüß Ihner Gott, Herr Papageno“ heißt die Adaption - und las einen Auszug aus Artmanns buchstäblich zauberhaftem Text vor.

Gesundheits- und Sozialminister Wolfgang Mückstein hatte, diesmal in schwarzen Sneakers auf weißer Sohle stehend, den Abend recht routiniert eröffnet. Petra Stuiber, stv. CR des Standard, erzählte in einer Art Doppelconférence mit Marlies Braun von der Unit für Suizidforschung und Mental Health Promotion am Institut für Public Health der MedUni Wien von den möglichen Versäumnissen, die Medien im Zuge von Corona in Sachen Krisenvorbeugung - möglicherweise - begangen haben.
IMG 1863Berührend war ein gewissermaßen außerordentlicher Programmpunkt, dem ein außerordentlicher Preis zugrunde lag. Den erhielt Journalist und Filmemacher Golli Marboe (im Bild oben neben Ö1-Journalistin und Vorjahres-Preisträgerin Uschi Theiretzbacher,  Thomas Niederkrotenthaler, dem Leiter der Unit Suizidforschung an der MedUni Wien und Wolfgang Mückstein in Rückenansicht). Seit dem Suizid seines Sohns Tobias engagiert er sich unermüdlich für die Suizidprävention. Als er von der letzten Begegnung mit seinem Sohn - von der er heute weiß, das sie ein Abschiednehmen war - erzählte, mag so manchem im PC Concordia ein dicker Kloß in den Hals gestiegen sein.

 

 



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